1 Bewertung

Me Too – Wer will schon normal sein?

Anrührendes Kinogedicht übers Flirten und Zurückstoßen, über wahre Freundschaft und verrückte Liebe

Der Mann hat recht. Denn so einfach ist das: Eine Gesellschaft, die Benachteiligte ausschließt, ist eine verkümmerte Gesellschaft! So simpel und so wahr – die Worte Daniels. Und der weiß schließlich, wovon er spricht: Hochschulabsolvent, Berufsanfänger und benachteiligt – er wurde mit dem Down-Syndrom geboren. Wenn bei wem bereits jetzt die Alarmglocke durch das Stichwort Behinderung schrillt, wer deswegen resigniert und nicht weiter liest, daher womöglich den in Betracht gezogenen Kinobesuch abhakt, der hat schon verloren und wird einen der schönsten Liebesfilme des Jahres verpassen.

Selber schuld, mag man da nur sagen, denn die Begegnung zwischen der vorerst kratzbürstigen Laura und eben Daniel ist funkensprühendes Kino par excellence, hochenergetisch, witzig, anrührend und mit reichlich Fallhöhe gerüstet. Widersinnig scheint diese Liaison, die die beiden Arbeitskollegen eingehen, tatsächlich nur auf den ersten Blick, beim ersten Aufeinanderstoßen. Laura kommt schlampig, schmallippig und wie immer zu spät ins Büro gefegt, würdigt den neuen Mitarbeiter nur eines kurzen, aber eben vieles, wenn nicht alles sagenden Blickes, ein Blick, den Daniel zur Genüge kennt. Dadurch aber, daß der Blick aus dem Gesicht Lola Dueñas kommt, gewissermaßen der Lola-Dueñas-Blick, frohlockt man schon, was da wohl kommen mag. Denn nun geht sie los, die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft, die mit den gängigen Klischees trippelt und diese dann frech zur Seite kickt, die aus Blicken wahre Gefühle entstehen läßt, die tief in die Seelen beider Hauptfiguren schaut.

Denn wogegen Daniel seit Kindesalter ankämpfen muß, ist ziemlich klar, aber eben auch Laura hat ihr Päckchen zu schleppen. Einsam tingelt sie durch verrauchte Bars, um am nächsten Morgen wieder neben einem schnarchenden Stinker aufzuwachen, dessen Namen sie nicht kennt, ihn auch kaum in Erfahrung zu bringen braucht. Die Frau ist verzweifelt – was soll man sonst von einer halten, die mit Ende 30 noch oder schon wieder String trägt? Und außerdem? Ihre Familie ist in Schieflage, den Kontakt zum Vater hat sie abgebrochen, daß er im Sterben liegt, scheint sie kaum zu rühren. Weil sie nicht vergeben kann, vorerst nicht ...

Einer der Trümpfe dieses fabelhaften, tragikomisch ausbalancierten Films ist eben, daß er all seine tragenden Figuren unter die Lupe ergo ernst nimmt, nur so sind all die seelischen Einschußlöcher nachspürbar, nur so kann aus einer Freundschaft glaubwürdig ein leidenschaftliches Verliebtsein herauskristallisiert werden, nur so verstehen wir schließlich auch Daniels vorerst doch ganz eigene – aufs Emotionale beschränkt – schließlich gar nicht so fremde Welt. Auch deshalb, weil die beiden Langfilmdebütanten Álvaro Pastor und Antonio Naharro ein weiteres Paar einführen, Pedro und Luisa, beide mit Down-Syndrom, beide im Kampf gegen die – hier elterliche – Fremdbestimmung. Ganz ehrlich: Wir sprechen doch Behinderten gern und schnell die Fähigkeit zu lieben ab, wir sprechen ihnen überhaupt einiges an Fähigkeiten ab – was hier, in wunderbare Situationskomik verpackt, mit eigenständig zu bindenden Schnürsenkeln exerziert wird ... Menschen mit Down-Syndrom sind rein körperlich klein, aber doch sind es Erwachsene, weitgehend selbständig handelnde und in jedem Fall sensitive Menschen.

Und genau davon im Duktus der Selbstverständlichkeit zu erzählen, gelingt den beiden Regisseuren vortrefflich, weil sie niemanden mit Samthandschuhen anpacken. Daniels gesunder Bruder Santi hält ihm ungeschönt entgegen, daß er es vergessen könne, daß sich jemals eine „normale“ Frau ernsthaft mit ihm einließe. Das tut weh, das trifft in die Mitte, aber es ist vielleicht auch ehrlich. Daniel selbst zieht daraus letztendlich Kraft und übersteht vieles mit seinem Humor, der den Film durchzieht und ihn auch trägt.

Humor braucht eine Geschichte, wenn sie vom Zurückgestoßensein erzählen und dennoch prächtig unterhalten will, wenn sie Figuren mit Ecken und Kanten in die Sympathien der Zuschauer einreiten läßt, wenn sie so von der Liebe berichtet, wie es das Musterbeispiel eines nachhaltig wirkenden Liebesfilms tun sollte: mutig, unverfälscht, aufrichtig und – genau! – an den richtigen Stellen zu Tränen rührend. Und nach dem Kinobesuch erwägen Sie, den Film all jenen weiterzuempfehlen, die Ihnen wichtig sind? Me Too ...

Originaltitel: YO, TAMBIÉN

Spanien 2009, 103 min
FSK 6
Verleih: Movienet

Genre: Tragikomödie, Liebe

Darsteller: Lola Dueñas, Pablo Pineda

Regie: Álvaro Pastor, Antonio Naharro

Kinostart: 05.08.10

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.