Originaltitel: MON PIRE CAUCHEMAR

F 2011, 102 min
FSK 6
Verleih: Concorde

Genre: Komödie

Darsteller: Isabelle Huppert, Benoît Poelvoorde, André Dussollier

Regie: Anne Fontaine

Kinostart: 19.01.12

2 Bewertungen

Mein liebster Alptraum

Herrlich albern, ein klein wenig ordinär und von immer gut ausbalancierter Komik – La Huppert gibt in diesem Lachstück Vollgas

Das ist aber auch ein harter Knochen. Streng, herrisch, fordernd – manchmal über das menschlich Ertragbare hinaus, was auch ihre Mitarbeiter zu spüren kriegen. Verspannt könnte man sie nennen, sie würde wohl perfektionistisch bevorzugen – die Galeristin Agathe. Als sie mal wieder an der Schule ihres Sohnes den Direktorenschreck gibt mit all ihren Forderungen, ihren Beziehungen zum Schulamt, als sie einmal mehr das Kommando an sich reißt und jeden an die Wand parliert, da schlägt plötzlich ein Wesen wie aus einer anderen Welt auf: „Der Fraß muß sich ändern!“ Patrick hat wohl nicht ganz das rhetorische Geschick, den diplomatischen Schlag, der Agathe auszeichnet. Sie möchte über Lehrmethodik sinnieren, er poltert über die Schulspeise los: „Diese fünf Früchte und Gemüse, das ist doch schwul!“ Agathe schaut kurz rüber, kneift die Augen zusammen, ignoriert diesen Tölpel und kocht doch innerlich. Eine Bemerkung ihrerseits, was die Chronologie eines gepflegten Disputs angeht, fegt er mit seinen ganz eigenen Worten beiseite: „Nicht den Arsch abwischen, bevor man geschissen hat!“

Um nicht in die falsche Ecke zu spielen – nein, nein, keine zotige Fäkalklamotte nimmt mit diesem rustikalen Einstieg ihren Lauf, vielmehr ein ganz wunderbares, teils brüllkomisches Lachstück über Gegensätze und Ansichtssachen. Und wie wenig Luft manchmal dazwischen paßt. Diese Begegnung war indes nur das erste zarte Ankicken des Balls in Richtung Screwball-Komödie, denn üblicherweise radiert Agathe, die stolze, lebenskluge und straffe Akademikerin, solche Typen wie diesen abgerissenen Belgier aus ihrer Wahrnehmung sofort wieder aus. Was diesmal nicht klappt, denn als sie in ihr gutbürgerliches Heim kommt, hat Sohn Adrien Besuch – Tony, Patricks Junge, ist zum Spielen da. Schon klingelt der Vater an der Tür ...

Kurz: So herzhaft durfte im Kino lange nicht gelacht werden. Etwas ausführlicher: Anne Fontaine hat sich in der Königsdisziplin des Filmemachens versucht und mit Bravour bestanden. Durch ihr gutes Händchen für Timing, pointierte Dialoge, satirischen Grundton und manch’ geradezu mit absurder Grandezza vorgetragene ordinäre Einsprengsel macht sie aus einer an sich mehr fürs Theater konzipierten Grundkonstellation einen herrlich albernen, mit den für eine Komödie unerläßlichen dunkleren Nuancen ausgewogen schattierten Film, der sein ganzes Potential aus diesen wahrlich kaum zusammenpassenden Figuren kitzelt.

Als Patrick seinen Sohn abholen will, trifft er auf François, den etwas älteren Partner Agathes, Anlaß zur Bemerkung, daß die Familie ja nun vollständig sei, wo Opi jetzt auch da ist. Und so geht es im Akkord weiter, wobei es in der Natur liegt, daß sich die Männer verbünden. Auch weil Patrick handwerklich geschickt ist, und gerade jemand für die Renovierung der Wohnung gebraucht wird, aber auch, weil François – die Beziehung zu Agathe hat über die Jahre die Zweckebene erreicht – durch den körperlichen Entzug frustriert ist. Da kommt einer gerade recht, der mit einigem Stolz von sich behauptet, zwar keine Steuern zu zahlen, aber die Wurst reinzustopfen. Nein, um Lebensmittel ging es in dieser Szene nicht, und wie gesagt – trotz manchen Grenzgangs am Gartenzaun des gutbürgerlichen Geschmacks kippt der Film nie ins Zotige, weil Fontaine den Fokus ihrer eigentlichen Geschichte nicht verliert und davon erzählt, was geschieht, wenn die Liebe stiften geht, und was passiert, wenn auf den ersten und auch auf den zweiten Blick so gar nicht zusammenpassende Menschen dann plötzlich doch Antennen füreinander haben. Der Film bezieht seine Komik aus dem Vermischen kaum vergleichbarer Biotope: So schlägt Patrick eines Tages in Agathes Galerie auf, sie befindet sich irgendwann in einer Autowaschanlage von Patricks Halbbruder, in dem barbusige Frauen für den Schaum sorgen. Und als ein Schrank gebraucht wird, fahren sie gemeinsam zu IKEA – er schon wegen der Buletten.

Für gute Schauspieler ist ein derartiges Szenario natürlich ein Geschenk: Isabelle Huppert, Benoît Poelvoorde und André Dussolier nehmen es mit Dank und einer aus der Leinwand geradezu heraustosenden Spielfreude an. Aber natürlich ist es einmal mehr La Huppert, die den Vogel abschießt. Zuerst denkt man, daß sie ihre Rolle ähnlich anlegt wie beim Großstadtekel in ZWEI UNGLEICHE SCHWESTERN, doch dann, wenn die Figurenzeichnung Agathes facettenreicher wird, wenn die Wohlstandsfassade bröckelt, die Kulturschaffenheitsattitüde wie ein leimloses Plakat herunterlappt, dann gibt sie alles.

Wozu irgendwann das ersehnte Lachen aus diesem bis dato versteinerten Gesicht gehört und die Tränen in den Momenten der Enttäuschung sowieso. Ganz herrlich ist, wenn sie lasziv an der Diskostange klebt oder auf Patricks Rücken in ungehemmter Hysterie brüllt: „Noch einmal das Pferd, noch einmal das Pferd.“ Dabei war die Schubkarre auch nicht übel ...

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.