Originaltitel: MELANCHOLIA

D/DK/S/F/I 2011, 130 min
FSK 12
Verleih: Concorde

Genre: Drama, Experimentalfilm

Darsteller: Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland, Charlotte Rampling, Stellan Skarsgård, John Hurt, Alexander Skarsgård, Udo Kier, Brady Corbet, Jesper Christensen

Stab:
Regie: Lars von Trier
Drehbuch: Lars von Trier

Kinostart: 06.10.11

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Melancholia

Die Welt, vom Ende her gedacht – Lars von Trier in wunderbar schlechter Stimmung

Die Vögel fallen vom Himmel, es regnet verbrannte Papierfetzen, Kinder und Frauen sind auf der Flucht, gehalten von seltsamen Netzen, versinkend in Wiesen, die sich unversehens in Sümpfe verwandelt haben. Selbst die Zeit, mit Schrecken ans Ende ihrer selbst gelangt, vergißt das Voranschreiten. Eine auf Slow-Motion heruntergebremste Sintflut von musikalisch aufgewühlten Fiebertraumvisionen ergießt sich über die Leinwand. Sie droht, bis in die hintersten Sitzreihen herüberzuwagnern, sich bis unters Kinodach hinaufzuschopenhauern.

Was hier passiert ist? Nun, Lars von Trier hat einen neuen Film gemacht. Und nach dieser annähernd 15minütigen Ouvertüre, an der man sich besoffen sehen kann, grenzt es an ein Wunder, daß davon noch etwas übrig ist. Worum genau es sich dabei handelt? Zunächst einmal um die Geschichte zweier Schwestern, die sich unterscheiden wie Tag und Nacht, weshalb von Trier sich ihnen in zwei getrennten Kapiteln widmet. Das erste gehört Justine. Auf dem Anwesen ihrer älteren Schwester, einem malerisch gelegenen Hotel mit angeschlossenem 18-Loch-Golfplatz, soll ihre Hochzeit gefeiert werden. Doch nur mit Mühe hält die Braut ihr Lächeln aufrecht, sonnt sich schließlich nackt im Licht eines seltsamen Sterns, in Begleitung eines fremden Herrn. Der düpierte Bräutigam verabschiedet sich – für immer. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit Claire, der Praktischen, der Vernünftigen. Sie hat die inzwischen völlig in Schwermut versunkene Justine zu sich und ihrer kleinen Familie geholt, um sie wieder aufzurichten. Dabei kann sie kaum verbergen, wie sehr sie sich vor dem großen astronomischen Ereignis fürchtet, dem Ehemann und Sohn mit jungenhafter Freude entgegenfiebern: Der Planet Melancholia rast auf die Erde zu. Doch von Gefahr könne keine Rede sein, versichern die Wissenschaftler. Lange sieht es aus, als würden sie recht behalten.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Hier kommt keiner lebend raus. Denn was von Trier sich vorgenommen hat, bringt er gnadenlos zu Ende – zum interstellaren Supergau, zum Kolossaleinschlag, zur ultimativen Auslöschung alles Lebendigen. Und er genießt es. Er schwelgt und räkelt sich in der Idee, daß die Welt, wie wir sie kannten, unter dem Schatten der Melancholie ihre ganze unterstellte Sinnhaftigkeit verliert, daß all die Hochzeiten und Trennungen, all das Hoffen und Streben als hohle Rituale bis auf die Knochen blamiert werden. Und er strickt seine atemberaubend finstere Dystopie nach dem Muster des guten alten Katastrophenfilms: sehenden Auges ins Unglück rennen, immer wieder. Und nun stelle man sich vor, das Leben sei nichts anderes als das …

Melancholie sei das Vergnügen, traurig zu sein, so Victor Hugo. Daß von Triers diebische Freude am Untergang noch ganz andere Gründe hat, war zu befürchten. Man kennt sich ja inzwischen ein bißchen – und fällt gern in jede Gedanken- und Bildfalle, die der Däne uns seit Jahren aufstellt: seine so perfiden wie perfekten Genre-Auslegungen, seine durchtriebenen Moralfabeln, seine märchenhaft-bösartigen Passionsgeschichten, seine künstlerische Handschrift, die virtuos zwischen Sauklaue und Schönschrift wechselt, hier sogar mit ein paar neoromantischen Verzierungen.

[ Sylvia Görke ]