Originaltitel: MUSTANG

F/Türkei/D 2015, 94 min
FSK 12
Verleih: Weltkino

Genre: Drama

Darsteller: Günes Nezihe Sensoy, Ilayda Akdogan

Regie: Deniz Gamze Ergüven

Kinostart: 25.02.16

3 Bewertungen

Mustang

Im unbefleckten Gefängnis

Für den Hochsommer in der ländlichen Provinz gibt es eine eingeführte visuelle Sprache, an der sich Generationen von Filmemachern abarbeiten. Der Wind weht hier anders, das Licht ist besonders, die Luft verspricht Freiheit. Deniz Gamze Ergüven, französische Regisseurin mit türkischen Wurzeln, erzählt in ihrem gefeierten Leinwanddebüt von so einem Sommer in so einem Licht, vor allem aber davon, wie einem diese Provinzluft den Atem nehmen kann – wenn man vom Mädchen zur Frau wird, mitten in einer archaischen geistigen Lebenswelt, die Freiheiten nach Geschlecht verteilt.

Lale und ihre vier älteren Schwestern wachsen in einem Dorf an der türkischen Schwarzmeerküste auf. Seit ihre Eltern tot sind, sorgen Großmutter und Onkel für sie. Und wie das so ist auf dem Dorf, behalten auch die Nachbarn die Mädchen im Auge. Bisher sahen sie fünf Kinder, die unbeschwert mit den Jungs badeten, durchs Haus tollten und sich die Sonne auf die Haut scheinen ließen. Doch in diesem Sommer verändert sich der Blick: Was als kindlich galt, wirkt nun schamlos, das neckische Bad im Meer sorgt für einen Skandal. Großmutter, Onkel und Dorfgemeinschaft definieren Grenzen neu: für fünf zukünftige muslimische Ehefrauen, die sittsam, unberührt und traditionell gewandet unter die Haube zu bringen sind – ob nun mit oder gegen ihr Einverständnis. Noch betrachten Lale und ihre Schwestern die Veränderungen mit Staunen und Schmunzeln, umgehen die verschärften Regeln mit Witz und Trotz und machen sich einfach einen Schlitz ins züchtige „kackbraune“ Kleid. Aber die Lage spitzt sich zu …

Ergüvens Geschichte einer Zähmung der Widerspenstigen lebt von der dramatischen Steigerung. Aus kleinen Grenzverletzungen wird heftige Gegenwehr. Aus einem besorgten Onkel wird ein gefährlicher Tyrann, der das ursprünglich luftige Haus nach und nach zur Festung umbaut und die Familienehre auch mit der Waffe zu verteidigen bereit ist. Souverän wechselt die Regisseurin dabei zwischen intim, ja sinnlich gezeichnetem Mädchenporträt und gesellschaftlicher Großaufnahme, in der trotz klar verteilter Sympathien auch Platz für maßvolle Ambivalenzen bleibt.

Die Sinn- und Filmbilder, die sie dafür wählt, sind ebenso schön wie moralisch deutlich. Vielleicht sogar zu deutlich für manchen, der vom Kino statt wohliger Wärme Störfeuer auf die eigenen Gewißheiten erwartet.

[ Sylvia Görke ]