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Nach der Musik

... folgt die Intimität

Wenn man Otmar Suitner nicht kennt, obwohl er auf eine beispiellose Karriere zurückblickt, lange Jahre als Generalmusikdirektor an der Staatskapelle Dresden und Berlin tätig war, befindet man sich dennoch in guter Gesellschaft. Denn selbst Suitners Sohn Igor Heitzmann weiß nahezu nichts von seinem Erzeuger, den die Arbeit stets zu sehr beanspruchte. Eine schöne Metapher dessen findet sich bereits im Vorspann, dort leuchtet eine Taschenlampe auf alte Fotos, während Heitzmann beschließt, den unbekannten Vater endlich kennenzulernen. Diese Dokumentation ist also eine Annäherung, emotionsgeladen noch dazu. Es berührt, wenn die beiden Männer erstmals zusammen verreisen und Suitner am Ende meint, eine Wiederholung wäre schön. Wohl wissend, daß er, über 80 Jahre alt und am Parkinsonschen Syndrom leidend, nicht mehr viel Zeit dazu haben wird.

So bewegt wie bewegend auch der zweite Erzählstrang, Suitner und die Damenwelt nämlich. Als er sich in Heitzmanns Mutter verliebte, hatte er schon eine Gattin, Marita. Beide Frauen akzeptierten zwar das Dreiecksverhältnis, und doch knistern unverändert Spannungen: In einer wunderbaren Szene fragt sich Marita, ob es Stärke oder eher Dummheit war, den untreuen Mann nicht zu verlassen. Sie findet keine Antwort, Heitzmann bohrt nicht nach. Und beweist damit bemerkenswertes Einfühlungsvermögen. Renate Heitzmann, die „Zweitfrau“, schwelgt dagegen in süßen Erinnerungen, und erneut ist es herzerwärmend zuzuschauen, wie dieses gemeinsam gealterte Paar sich noch immer seine Zuneigung zu zeigen weiß.

Ein dritter, fein verwobener Themenkomplex ist – unterfüttert durch Archivmaterial sowie klassische Klänge – natürlich Suitners Schaffen gewidmet und porträtiert einen Perfektionisten, der sich einfach erlaubt, eben erlauben kann, Wagners Liebesduett aus „Tristan und Isolde“ als „Quatschgespräch“ zu bezeichnen, aber trotzdem geerdet genug blieb, dem Sohn trocken zu raten: „Jetzt werd’ bloß nicht sentimental!“, oder beim Ansehen früher Aufnahmen sein eigenes „Fuchteln“ am Dirigentenpult zu kritisieren. Spätestens dann muß man den alten Herrn ins Herz schließen.

Und so hat nach 105 Minuten jeder etwas Wichtiges gefunden – Heitzmann Zugang zum Vater. Suitner Gelegenheit, sich persönlichen Fehlern zu stellen. Und der Zuschauer ein so intimes wie komplexes Porträt, welches auf längere Sicht nachhallt.

D 2007, 105 min
FSK 6
Verleih: Weltecho

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Igor Heitzmann
Drehbuch: Igor Heitzmann

Kinostart: 14.05.09

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...