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Nachbarinnen

Besuch für eine verkrampfte Seele

Aufgewachsen in einem Plattenbau in Leipzig-Mockau, suchte sich Franziska Meletzky für ihren Diplomfilm an der HFF "Konrad Wolf" ebendiese Kulisse aus, eine Platte am Stadtrand. Doch trotz des Realismus, mit dem hier Vorwendetapeten auf Nachwende-Videorecorder treffen und niedrige Decken aus alten Zeiten weiterhin auf die Gemüter drücken, erschließt sie sich vor allem einen gefühlten, poetischen Innenraum.

In dieser Festung mit Durchreiche, Untersetzern und Hydrokulturen, von der Kamera sensibel interpretiert, ist Paketbotin Dora zu Hause. Kunden wie Hausgenossen fertigt sie ab - die ewig Geländer putzende Gabi im Treppenhaus, den so offensichtlich verknallten Nachbarn Conny an der Tür, die Schwester am Telefon. Seit ihr Mann einfach wegblieb und nichts als eine Jacke zurückließ, ist Dora auf Besuch nicht mehr eingestellt. Nicht in der Wohnung und schon gar nicht in der Seele. Doch dann ist sie plötzlich drin: Jola, die kellnernde Polin von obendrüber, auf der Flucht vor der Polizei, weil sie glaubt, den Kneipenwirt Bernd im Handgemenge erschossen zu haben. Mehr überrumpelt als hilfsbereit gewährt Dora der Fremden Unterschlupf.

Aus dieser erzwungenen Gemeinschaft heraus entwickelt Meletzky eine äußerst diskrete Liebesgeschichte, die so barsch und unterkühlt ist, daß einen jede noch so kleine Geste der Annäherung unendlich erleichtert - und sei es eine Ohrfeige. Beinahe unmerklich wechseln Dora und Jola die Seiten. Die unfreiwillige Gastgeberin wird zur eigentlich Abhängigen, die schließlich lügt, damit der Flüchtling bleibt.

In Ton und Temperament fast zu erwachsen und verschlossen, nutzt die junge Regisseurin selten die Beweglichkeit des digitalen Filmens, um auf Neben- und Umwegen etwas gelöstere, frischere Luft zu schöpfen. Wenn sie den engen Rahmen des Kammerspiels doch einmal verläßt, unterlaufen ihr zwar kleinere Unstimmigkeiten. Aber hier findet sie komische Momente - einen emsigen Kühlschrankträger, zum Beispiel, oder den englischen, wenn auch vergeblichen Liebesmonolog von Jörg Schüttauf. Vor allem atmet dieser Film jedoch im Rhythmus seiner Hauptdarstellerinnen, der sanften Grazyna Szapolowska und einer präzisen, wunderbar dünnhäutigen Dagmar Manzel.

D 2004, 88 min
Verleih: Salzgeber

Genre: Tragikomödie, Liebe, Schwul-Lesbisch

Darsteller: Dagmar Manzel, Grazyna Szapolowska, Jörg Schüttauf, Berndt Stübner, Ramona Libnow, Marylu Poolmann

Regie: Franziska Meletzky

Kinostart: 28.04.05

[ Sylvia Görke ]