Originaltitel: POISON
NL/GB 2024, 89 min
FSK 6
Verleih: Filmwelt
Genre: Drama
Darsteller: Trine Dyrholm, Tim Roth
Regie: Désirée Nosbusch
Kinostart: 13.02.25
Silvester 2012, 10 nach 7 am Abend, hatte Lucas zwei Koffer in die Hände genommen und Edith, seine Frau, verlassen. Er weiß noch, welche Kleidung sie trug: stechendes Blau. Auch erinnert sich Lucas sehr genau daran, daß Edith nichts unternahm, absolut nichts, um ihn am Weggehen zu hindern. Fast zehn Jahre ohne ein Wort, ein Treffen, ohne Kontakt ist es nun her, und ausgerechnet auf einem Friedhof wollen die beiden ihr Schweigen beenden. POISON könnte mühelos nur das Gift meinen, das sich in dieser Zeit unter das ehemalige Paar geschlichen hat, doch es ist ja eine Liebesgeschichte. Selten, daß ein aufs Filmplakat gepackter Untertitel im Kino so viel Sinn ergeben hat und in seiner Schlichtheit Horizonte öffnet.
Edith und Lucas kommen aus getrennten Leben zum Friedhof und werden genau dort an einen Teil ihrer schönsten wie schmerzvollsten Gemeinsamkeit erinnert. Es gab ein Kind, einen Jungen, und es gab einen Unfall. Vor allem aber gab es für Edith und Lucas eine Zeit danach, die unmittelbare und die fortlaufende. Bis Silvester 2012. Und ab dann. Leiden mache süchtig, sagt Lucas, „es sollte Entzugskliniken dafür geben.“ Doch die Trauer trägt keine Einheitsuniform. Sie kommt als Chamäleon, wechselt Töne, Farben, Intensitäten. Edith und Lucas reden an diesem Nachmittag auch darüber und, oh nein, es geht nicht ohne Vorwürfe ab, Verletzungen, ohne Wut, ja, Handgreiflichkeiten, ohnmächtige Momente. Doch gleichsam nicht ohne Zuwendung, den Nachhall ferner Nähe, transferiert in heutige Momente, Erinnerung an das, was diese zwei Menschen einst verbunden und stark gemacht hat. Manchmal haben sie nur Gesten dafür – und es genügt.
Für ihr – spätes – Spielfilmdebüt als Regisseurin hat die luxemburgische Schauspielerin Désirée Nosbusch einen Theaterstoff adaptiert und sich dafür von der niederländischen Ursprungsautorin Lot Vekemans das Drehbuch schreiben lassen. Das Bühnensetting mit nur zwei Personen in filmische Sprache zu übersetzen und dabei überzeugend die Leinwand zu füllen, brauchte, neben Mut und tieflotendem Gespür für Reduktion an nur einem markanten Spielort, also den konsequenten Verzicht auf Rückblenden, die perfekte Besetzung. In der Dänin Trine Dyrholm und dem Briten Tim Roth hat Nosbusch sie gefunden und mit Kamerafrau Judith Kaufmann multipliziert. POISON wird zum Gipfeltreffen. Wir gehen mit. Angefaßt und losgelassen.
[ Andreas Körner ]