Originaltitel: THE HOUSE THAT JACK BUILT

DK 2018, 153 min
FSK 18
Verleih: Concorde

Genre: Psycho, Thriller, Killer

Darsteller: Matt Dillon, Uma Thurman, Siobhan Fallon Hogan, Sofie Gråbøl, Riley Keough, Bruno Ganz

Stab:
Regie: Lars von Trier
Drehbuch: Lars von Trier

Kinostart: 29.11.18

12 Bewertungen

The House That Jack Built

Die diabolische Komödie oder Was man auf dem Weg zur Hölle bespricht

Wäre er nicht der Regisseur, er würde sich seine Filme nicht anschauen, erklärte Lars von Trier neulich in einem Interview. Überraschend ist das nicht. Denn die Einlassung, irgendwo zwischen kokett und entwaffnend, paßt nahtlos in eine Reihe von Äußerungen, in denen der notorische Gratwanderer und bekennende Psychotiker auf fast entschuldigende Distanz zu seiner Arbeit geht. „Fast“ ist das erste Zauberwort. „Entschuldigung“ das zweite. Beide führen in die Irre und widersprechen dem, was er drittens tut: weitermachen.

Nach NYMPHOMANIAC, dem Konversationsdrama im Pornokleid, knöpft sich von Trier das Phänomen „Serienkillerfilm“ vor: als Projektionsraum für die ultimative Normverweigerung – und Nabelschaukasten für eigene Zwänge und Anmaßungen. Jack, ein vom Leben beleidigter Möchtegernkünstler, betreibt das Handwerk reinlich. Na ja, nach Kräften. Nicht immer sind die Ergebnisse ohne Mängel, wie er zugibt. Doch das „Material“ arbeitet zunehmend besser mit. In einer Kühlhalle wartet es darauf, große Architektur zu werden. Aber stehen Ambition und Meisterstück in einem vertretbaren Verhältnis? Seltsam sieht es aus, jenes Haus vom Nikolaus, das er schließlich fabriziert, kindisch und ganz ungeniert. Wie aus einem Schüttelreim fällt die Bude in die Welt. Goldig. Wenn man sich das freundliche Adjektiv in Anbetracht der Vorgeschichte nicht verkneifen müßte. Diese Vorgeschichte, Jack würde sie „Vorfallgeschichte“ nennen, spielt in den USA der 70er Jahre und in halbwegs mediokren Sphären, deren exakte soziale Verortung wenig zur Sache tut. Wichtiger ist, was die Vorfälle sollen, nämlich des Dänen Lieblingsfeinde auf ihre Lieblingspalme bringen: durch Provokation in Reihenschaltung.

Daß diesem Jack die Opfer wie Lemminge in den Van springen? Ach, die Triersche Freude an der Manipulation. Daß sie in der aufgefädelten Beispielkette von „5 aus 61“ vor allem weiblich und schwer von Kapee sind? Klar, der Frauenquerversteher pflegt sein Image. Daß sie bei der Schleiffahrt über den Asphalt das Gesicht „verlieren?“ Richtig, der Trash-Connaisseur macht sich ein Geschenk. Daß ein Wagenheber zwischenzeitlich die Hauptrolle übernimmt und doch kaum auffällt? Von Trier kennt sich aus mit dem Genre-Kino, auch mit der B-Ware, ihren Wirkmechanismen und wie sie einem Publikum Atem und Mimik diktieren. Aber was tun gegen den großen Ennui, der einen dabei zu überfallen droht? Genau, dem Regisseur zusehen, wie er mit dem Rahmen das Bild, mit dem Umweg die Orientierung ändert – und einen genau genommen neu plaziert.

Die Umwege sind wie so oft von Triers eigentliche Trampelpfade: Dokumentarausflüge ins Studienzimmer des Jahrhundertvirtuosen Glenn Gould und zu den einschlägig bekannten Massentötern der vergangenen Zeit. Jack, der seine Arbeit unterbricht, um sich samt legendärer Papptafeln in die von Pennebaker verewigte Bob-Dylan-Pose zu werfen. Oder um sich mit dem Höllenreiseführer Vergil (hier ein schmunzelnder Schweizer mit UNTERGANG-Erfahrung) zu unterhalten. Über Kunstwollen und verweigerte Reue, über Wagenheber und Erhabenheit, William Blakes Tiger und gotische Kathedralen. Der geschnörkelte Rand drängt ins Zentrum, der Kommentar wird Haupttext und ist im Grunde angriffslustiges, illustriertes Selbstgespräch: Von Trier über sich, seine Schatten und sein Kino.

[ Sylvia Görke ]