Originaltitel: UNA PRIMAVERA

D/I/Österreich 2018, 80 min
FSK 12
Verleih: Fugu

Genre: Dokumentation, Familiensaga

Regie: Valentina Primavera

Kinostart: 16.01.20

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Una Primavera

Der unbezwingbare Status quo

Inmitten der Apenninen-Halbinsel liegen die Abruzzen. Sucht man Top-Reiseziele auf der Karte, so findet man sie doch eher abseits dieser Gegend. Und während manch’ italienische Kleinstadt einem Freiluftmuseum gleichkommt, sieht im abruzzischen Roseto ein Haus wie das andere aus.

Die Protagonistin der herzzerreißenden Familien-Doku UNA PRIMAVERA verläßt zunächst jene geliebte Heimat in Richtung Deutschland. Fiorella Primavera, eine anmutige Dame von 60 Jahren, „eine richtige Italienerin“, ist auf der Flucht. 40 Jahre lang führte sie ein nach außen hin bilderbuchreifes Eheleben mit Haus, mit Kindern. Und mit ihrem Gatten Bruno. Von diesem immer und immer wieder verprügelt, vom Umfeld immer und immer wieder aufgefordert, sich „nicht so zu haben“, trifft sie 2016 einen Entschluß und zieht zunächst zu ihrer Tochter Valentina nach Berlin. Und die hält von diesem emanzipatorischen Moment an das Geschehen per Kamera fest – Spatenstich für einen beeindruckenden Film über ein Italien, in welchem die Familie nach wie vor „heilig“ ist und auch im Falle von häuslicher Gewalt noch immer Vorrang haben soll.

UNA PRIMAVERA, das bedeutet auch „ein Frühling.“ Fängt hier ein neues Leben an zu blühen, den traditionellen Dogmen zum Trotz? Nach der Trennung müssen sich die Beteiligten zunächst um offene Fragen kümmern. Etwa, wem das (von Fiorella entworfene) Haus zusteht. Das erfordert die Rückkehr an den einstigen Ort früherer Schandtaten und die Begegnung mit Verwandten, die diese Taten als vergangen und abgehakt ansehen wollen. Bruno habe „seine Fehler eingesehen“, heißt es da, als ginge es ums Brötchenstehlen.

Valentina Primavera erzählt also die Geschichte der Primaveras, und doch erzählt sie so viel mehr. Zu sehen ist eine Gesellschaft, die nur schleppend säkularisiert ist – kein Wunder, daß sich die Kamera zum Schluß in die Kirche begibt. Durch die vielen ruckeligen Nahaufnahmen, festgehalten von einer selten im Bild befindlichen Bezugsperson, scheint sich zunächst ein kratzbürstiges Verhältnis zwischen der Kinoleinwand und diesem Film aufzubauen.

Gerade dadurch ist die Geradlinigkeit der Erzählung aber so unfaßbar überraschend. Was wie eine scheinbar zufällig zusammengetragene Sammlung von Heimvideos beginnt, entpuppt sich als facettenreiche Tragödie mit unerwarteter Schlußpointe.

[ Hieronymus Hölzig ]