Österreich 2018, 110 min
FSK 12
Verleih: Piffl

Genre: Literaturverfilmung, Tragikomödie, Erwachsenwerden

Darsteller: Valentin Hagg, Karl Markovics, Sabine Timoteo

Regie: Rupert Henning

Kinostart: 25.04.19

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Die Ingredienzen, derer sich Regisseur Rupert Henning für die Erschaffung seines Sittengemäldes Österreichs in der Nachkriegszeit bedient, welches gleichzeitig auch die Erweckungsgeschichte eines Buben ist, sind erst einmal nicht die unbekanntesten: überhebliche Dekadenz, stocksteife Kälte, Prüderie, Verdrängung, Turbokatholizismus und bizarre sexuelle Abgründe.

Der Knabe, der sich nicht nur sinnbildlich freischwimmen muß, ist das Alter ego André Hellers, auf dessen gleichnamiger Erzählung das Drehbuch basiert. Mit Valentin Hagg, der den 12jährigen Paul Silberstein mimt, hat Henning einen Interpreten des „merkwürdigen Kindes“ gefunden, der mit Natürlichkeit und Esprit spielt. Die übriggebliebene Sippe wird von Roman Silberstein angeführt, einem durch den Krieg verrohten, verbitterten Mann, der sich nur noch mit Drogen durch den Tag bringen kann. Eine Paraderolle für Karl Markovics, die durch Sabine Timoteo als unglückselige Ehefrau perfekt ergänzt wird. Das Ensemble gibt die zitatwürdigen Dialoge, die vor tableauartigen Bühnen vorgetragen werden (so wirken die Bildarrangements, welche Henning erschafft), mit Bravour. Und es sind diese sehr explizit durchdachten Kulissen, die Paul Silbersteins Gedanken rahmen, die Hennings Inszenierung von thematisch ähnlich gelagerten Familiengeschichten abhebt. Es sind die Details in Requisite und verspielten dramaturgischen Wendungen, die das komplexe Puzzle sehenswert machen.

In diesen verliert sich Henning aber auch ein wenig. Denn er fordert dem Publikum Sitzfleisch ab, wenn er Pauls sinnbildlichen Vatermord über die Klostermauern seines ungeliebten Internats hinaus zur Errettung seiner ersten zarten Liebe über die pompöse Beerdigung des verhaßten Erzeugers bis hin zu den jüdischen Familienwurzeln spannt. Das zieht sich irgendwann, denn die Intention ist verstanden, die Renitenz ausgelebt. Schwer zu sagen, was man hätte weglassen sollen, um das bunt schwingende Karussell an der richtigen Stelle anzuhalten. Bedurfte es der Sequenz mit dem Fleischerpaar, welches sich regelmäßig vor den Augen von Roman Silberstein mit Schweinehälften versohlen muß, weil es im Krieg seine Geliebte denunzierte? Vielleicht ja. Doch nicht jede einzelne Seite, die man mit unsichtbarer Tinte füllt, um seine Träume zu bewahren, muß zwingend ans Licht.

[ Susanne Kim ] Susanne mag Filme, in denen nicht viel passiert, man aber trotzdem durch Beobachten alles erfahren kann. Zum Beispiel GREY GARDENS von den Maysles-Brüdern: Mutter Edith und Tochter Edie leben in einem zugewucherten Haus auf Long Island, dazu unzählige Katzen und ein jugendlicher Hausfreund. Edies exzentrische Performances werden Susanne als Bild immer im Kopf bleiben ...