D 2022, 118 min
FSK 12
Verleih: Pandora

Genre: Drama

Darsteller: Claude Heinrich, Adina Vetter, Justus von Dohnányi

Regie: Hans-Christian Schmid

Kinostart: 03.11.22

9 Bewertungen

Wir sind dann wohl die Angehörigen

Die Geschichte neben der Geschichte

Der Fall schrieb deutsche Kriminalgeschichte: Die Entführung Jan Philipp Reemtsmas. Des Publizisten und Mäzens, des Gründers und Leiters des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Und natürlich des Millionärs, der Reemtsma auch ist. Weshalb er ja auch einst, am Abend des 25. März 1996, zwecks Erpressung eines hohen Lösegeldes aus seiner Hamburger Villa verschleppt wurde.

Die Frage, warum man so einen Fall als Film auf die Leinwand bringt, ist so müßig wie die Antwort simpel: Die Geschichte gibt es her, sie ist spektakulär genug dafür. Womit man bei der weniger müßigen Frage ist: Warum hat sich ausgerechnet Hans-Christian Schmid dieses Stoffes angenommen? Also ein Regisseur, der seine Filme (23, CRAZY, REQUIEM, STURM) gezielt und auch gekonnt unspektakulär erzählt, dem emotionales Hochtouren so fremd ist wie das Manipulativ-Spekulative des Thrillers.

Die Antwort ist auch hier simpel: Schmid interessiert die Dynamik abseits der „Action“, die Geschichte neben der Geschichte. Die Gefühle vor, zwischen, nach den Gefühlsausbrüchen. Die drückende Stille im emotionalen Inferno. Und dabei immer wieder der nüchterne Blick auf die, die nicht nüchtern blicken können. Weil sie „Betroffene“ oder auch zu jung dafür sind. Oder beides, wie jetzt in WIR SIND DANN WOHL DIE ANGEHÖRIGEN.

Die Geschichte neben der Geschichte: Schmid erzählt das Entführungsdrama aus Sicht des Reemtsma-Sohnes, des 13jährigen Johann. Mit ihm schaut man auf die Polizisten, die sich in der Villa einquartieren, auf die schwindende Kraft der Mutter und die bröckelnde Souveränität des Familienanwalts. Auf das Erschrecken, wenn das Telefon klingelt, und die furchtbare Stille, wenn es das nicht tut.

Bleibt der Film bei Johann und den (Nicht-)Geschehnissen im Haus, gelingt ein stimmig dichtes Kammerspiel still latenter Anspannung. Geht er hinaus, folgt etwa der Mutter mit dem Anwalt bei einem der vergeblichen Versuche der Geldübergabe, droht die Fernsehkrimi-Schieflage. Nicht, weil das Spektakuläre (respektive: Spekulative) einzieht, sondern Erzählen im Second-Hand-Blick: Da berichtet dann die Mutter dem Sohn, was geschehen ist. Und eine Rückblende zeigt die Bilder dazu. Zu denen wiederum die mütterliche Off-Stimme erklärt, was man gerade sieht. Ein seltsam plumpes Stilmittel inmitten eines Films subtilen Erkundens.

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.