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Zwischen den Jahren

M – Ein Film liebt seinen Mörder

Mag draußen auch eine Großstadt irrlichtern – die Koordinaten bleiben unausgesprochen. Gern überlassen wir den heimischen Geographie-Freaks die Ortsbestimmung und vertiefen uns in die Weltvermessung der Hauptfigur: „Hier ist das Wohnzimmer, hier ist das Bad, hier ist die Küche.“ Wachhund Lemmy, an den sich diese Worte richten, weiß – schon wegen der Sprachbarriere –, daß der Rest Schnüffeln ist. So wie Lars Henning, der hier als Spätberufener erstmals zum Langfilm findet und – nolens volens – einen bis hin zum Angstschweiß zu eratmenden Riechfilm gedreht hat.

Auf kurzen und mittellangen Wellen versendete Henning seine Anliegen bisher – und bleibt dem Format selbst in diesem abendfüllenden Ausmaß treu. Nicht in der Länge, sondern als erzählerisches Statement: gegen den senderfinanzierten (Aus-)Plauderzwang. Ein Bekenntnis zu diesem Mörder schließlich, der es mit dem Reden nicht so hat. Denn im Knast ist Schweigen Gold und im geschenkten Leben als Wachmann danach mindestens Platin. „Weggemacht“ habe er damals Ehefrau und Tochter von Benedikt Dahlmann, so bricht es aus ihm heraus. Ein fast kindlicher Jargon, bei dem einem der „Totmacher“ Fritz Haarmann in den Sinn kommt.

Aber Hennings Filmwelt ist kleiner, bescheidener, mehr gerochen als durchschaut. Es geht um den Rehabilitanten Becker, tätowiert bis unters Kinn und sorgfältig desodoriert, der seine Frühstücksbrote in die Arbeit bei der Wach- und Schließgesellschaft trägt, sich bei der Putzfrau Rita für den unbeholfenen ersten Fick entschuldigt – und nicht weiß, wie Herr Dahlmann aus diesem seinem „Neuanfang“ zu entfernen sei. Dahlmann ist und bleibt da – als Chimäre auf dem vorbeifliegenden U-Bahnhof, als Racheengel.

Noch einmal: In „Zimmer, Küche, Bad“ setzt sich Hennings Film bewußt seine erzählerischen wie filmsprachlichen Grenzen – sehr eng, im physischen Sinne atemberaubend. Denn abgesehen von den ausdrücklichen faktischen Lücken, die mit eigenem Zutun zu füllen sind, bietet er den Spielraum für einen im besten Sinne „riechbaren“ Darsteller, der lange noch nicht genug geschätzt wird. Freilich ist Peter Kurth die Feder, mit der sich so manches Marginalwerk aus der Fernsehgeschichte schmückt. Sicher ist er die schauspielerische Tiara auf Filmen wie HERBERT. Hier aber ist er der Supermann, der einen kleinen Film schultert, um ihn zu etwas Großem zu tragen.

D 2016, 97 min
FSK 12
Verleih: Temperclay

Genre: Drama

Darsteller: Peter Kurth, Catrin Striebeck, Karl Markovics, Leonardo Nigro

Stab:
Regie: Lars Henning
Drehbuch: Lars Henning

Kinostart: 16.03.17

[ Sylvia Görke ]