Anno 2001 fand die erste Filmkunstmesse im Angesicht des 11. September statt. Damalige Branchenteilnehmer nannten den Umgang damit „sehr sensibel“, lobten außerdem die „konzentrierte Zusammenarbeit“ im Rahmen einer „notwendigen Veranstaltung.“ Ohne jenes Fingerspitzengefühl sowie andauernde Unabdingbarkeit wäre das aktuelle Jubiläum undenkbar, zu dem wir herzlich gratulieren! Im bereits 25. Jahr diskutieren Fachbesucher wechselnde Herausforderungen, entwickeln Strategien, neuen Gegebenheiten zu begegnen und ungeachtet sich verändernder Sehgewohnheiten ihr Publikum zu erreichen. Felix Bruder, Geschäftsführer der AG Kino-Gilde und seit 2011 Projektleiter der Veranstaltung, resümiert kämpferisch: „Arthouse-Kino ist ein Spiegel der Gesellschaft, und vielleicht ist die ja an vielen Stellen schon weiter, als uns negative Nachrichten und die Social-Media-Blasen glauben machen wollen.“ Folgerichtig setzt er fort: „Unser Ziel muß es sein, die Menschen vom Kinoerlebnis zu überzeugen und sie daran zu erinnern, welche Kraft der Ort Kino noch immer hat.“
Wozu sich im Rahmen der Messe selbstverständlich ein klug ausgewähltes öffentliches Programm eignet; ein paar oft auf verschiedenen Festivals prämierte Highlights seien benannt. Zur Eröffnung gibt’s die ZWEIGSTELLE: Nach einem sie tötenden Unfall liegt das Schicksal vierer Freunde in den Händen einer typisch deutsch, ergo bürokratisch, agierenden Jenseits-Behörde … Ganz andere Probleme plagen die LESBIAN SPACE PRINCESS Saira, derzeit total deprimiert, weil ihre Freundin Schluß machte. Als die unverändert Angebetete von Straight White Maliens entführt wird, soll Saira lösegeldtechnisch die königliche Doppelaxt aushändigen – welche sie allerdings dummerweise gar nicht besitzt. Der lustvoll knallig animierte Genremix läuft ebenso beim Midnight-Special-Screening wie HOLY MEAT: Hier steht eine ländliche Laieninszenierung der Passion Christi im Zentrum. Klingt theoretisch nach konventionell-ödem Dorfalltag, artet praktisch aber bald blasphemisch aus.
Wer mehr was fürs Gemüt schauen möchte, könnte Eva in EIN LEBEN OHNE LIEBE IST MÖGLICH, ABER SINNLOS kennenlernen, eine passenderweise 25 Jahre verheiratete Frau, deren Leben in jeder Hinsicht unaufgeregt dahindümpelt. Bis sie sich spontan verliebt und alles dafür tut, frischen Schwung in ihre eingeschlafenen Emotionen zu bringen. SORDA hingegen begleitet die gehörlose Ángela: Mit ihrem hörenden Partner bekommt sie ein Kind, doch aus der Unsicherheit, ob die kleine Tochter taub sein wird, resultierende psychische Belastungen lassen das Paar in eine Krise stürzen. Den gleichnamigen Roman von Olivier Guez adaptiert DAS VERSCHWINDEN DES JOSEF MENGELE, dessen Flucht nach Argentinien, Paraguay und schließlich Brasilien durch Sympathisanten und Angehörige ermöglicht wurde.
Hannah Süss, stellvertretende Theaterleiterin der Passage Kinos, hebt aus dem „ganz besonderen Programm“ eine persönliche Empfehlung hervor, nämlich „die taiwanesische Tragikomödie YI YI aus dem Jahr 2000, die nach 25 Jahren zurück in die deutschen Kinos kommt und in Cannes einst für die Regie prämiert wurde. Ein Geheimtip mit Kultfaktor!“ Es geht um Familie Jian und ihre Erlebnisse, welche unter anderem Hochzeit, Schlaganfall und das Wiedertreffen des ersten Jugendschwarms inkludieren.
Zu einigen Filmen sind, wie gewohnt, Regisseurinnen und Regisseure, Teammitglieder sowie Experten anwesend, um eventuell den Publikumspreis entgegenzunehmen. Bruder verspricht: „Wir werden jedenfalls weiter für eine weltoffene, tolerante, vielschichtige und vor allem demokratische Gesellschaft einstehen.“ Unsere Überzeugung: Das klingt nicht nur nach einem wirklich guten Plan, es ebnet auch den Weg zum 30.!
[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...