D/F 2025, 135 min
FSK 12
Verleih: DCM
Genre: Drama, Biographie, Historie
Darsteller: August Diehl, Max Bretschneider, Dana Herfurth, Friederike Becht, Burghart Klaußner
Regie: Kirill Serebrennikov
Kinostart: 23.10.25
Es ist ein Reflex neuerlichen Erschreckens, der uns nach dem Sichten von Kirill Serebrennikows Spielfilm in verläßliche Geschichtsbücher schauen läßt. Kann es wahr sein, daß Josef Mengele, der führende Lagerarzt des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, 1956 unter seinem Namen und mit neuem deutschen Reisepaß beschenkt in die Bundesrepublik einreisen durfte, um seine Familie im bayerischen Günzburg zu besuchen? Daß er danach als freier Mann einfach in sein südamerikanisches Exil zurückkehren konnte, wohin er sieben Jahre zuvor geflüchtet war? Wohl wahr! Fiktionales Historienkino, daß sich an Tatsachen orientiert, sollte den Schreck des Checks einpreisen.
DAS VERSCHWINDEN DES JOSEF MENGELE springt durch die letzten 23 Lebensjahre eines Verbrechers, der sich selbst am intensivsten jagt. In den argentinischen Fünfzigern ist er noch smart und elegant, ein Typ, dem vieles gelingt, der alte und neue Gefolgsleute um sich schart und Hakenkreuze auf Torten und Blumenrabatten drapieren läßt, beim Besuch in der Heimat große Reden schwingt, dem die Angst dann aber doch in den Nacken kriecht. Als der Mossad in Argentinien Adolf Eichmann faßt (O-Ton Mengele: „Diese Drecksau!“), verstärkt sich seine Paranoia. Als ihn 1977 Sohn Rolf in Brasilien besucht, ist er längst ein störrischer, verarmter, ewig gestriger Jammerlappen. Aber noch immer frei. Bis zum Tod im Meer.
August Diehl spielt Mengele in Teilen so furios konzentriert, daß er einem das Fürchten lehrt. Er darf das, denn Serebrennikow läßt ihm optisch und akustisch alles Terrain. Das Schwarz-Weiß des Films ist markant und als Stilmittel erneut hilfreich, nur kurz wechselt der Regisseur in die Farbe – ausgerechnet, als er nach Auschwitz blendet, zu Mengele privat und für acht grausame Minuten hin zu seinen Taten. Dann ist es Stummfilm. Dann erzählen allein die Bilder, denen Serebrennikow an anderer Stelle nicht vollends vertraut. Einige Passagen sind als Geschichtsexkurs zu offensichtlich, zu erklärerisch, gar banal und zu oft gehört, verwässern die Figuren in ihrer Kontur. Gerade die Begegnung Mengeles mit seinem bohrend-fragenden Sohn büßt im Dialog einiges an Brisanz ein. Ein Satz Mengeles aber macht die Faust: „Jeder Krieg endet für jeden zu einer anderen Zeit.“
[ Andreas Körner ]