Originaltitel: L’HOMME QUI AVAIT VENDU SA PEAU

Tunesien/F/Belgien/D/S 2020, 108 min
FSK 12
Verleih: Eksystent

Genre: Drama

Darsteller: Yahya Mahayni, Dea Liane, Koen De Bouw, Monica Bellucci

Regie: Kaouther Ben Hani

Kinostart: 24.02.22

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Der Mann, der seine Haut verkaufte

Der Vorführeffekt

Es ist gerade etwas Seltsames passiert. Beim „Hacken“ der Überschrift gab es einen Fehlgriff. Anstatt eines O stand da ein E – „Der Verführeffekt.“ Es hätte stehen bleiben können.

Sam Ali wiederum hätte besser mal gelassen, was da im Zug über ihn kam. Im DB Regio wäre es ohne Folgen geblieben, in einem syrischen Waggon aber, noch dazu 2011, muß Sams Ausruf „Das ist eine Revolution! Wir wollen Freiheit, also, laßt uns frei sein!“ in falsche Ohren gelangen. Dabei wollte Sam doch nur seiner geliebten, aber schon einem anderen, an Geld und Einfluß reicheren Mann versprochenen Abeer einen Antrag machen. Ach was, er wollte sie auf der Stelle heiraten! Ausgelassenheit ist die Reaktion der Fahrgäste. Es wird getanzt. Daß die spontane Party für Sam in einem von Assads Gefängnissen endete, verrieten die Einstellungen davor.

Noch sind keine zehn Minuten vorbei, die Spannung im Kinosaal dürfte knisternd zu greifen sein. Ganz am Beginn gab es grandiose Bilder, die auf den Kern von Kaouther Ben Hanias Film verwiesen haben und am Schluß wiederkehren werden: Aus dem Weiß der Leinwand schälen sich die Konturen zweier Männer in weißen Hemden mit weißen Handschuhen, die vorsichtig zwischen eng stehenden weißen Wänden und Spiegeln laufen. Sie haben ein Kunstwerk in der Hand, sein Schöpfer wacht über die Abläufe des Aufhängens, bis der Zoom der Kamera den englischen Titel schärft. Auf Deutsch: DER MANN, DER SEINE HAUT VERKAUFTE.

Sam wird an Grenzen kommen und Grenzen überwinden. Eine Flucht, eine verführerische Begegnung und einen Deal später findet er sich in Brüssel wieder, wo auch Abeer jetzt lebt. Sam logiert im Nobelhotel, das Konto füllt sich. Sein muskulöser Rücken trägt ein Kunstwerk, denn ein Avantgardekünstler hat ihm eine großflächige Tätowierung verpaßt – es ist ein Schengen-Visum.

Die tunesische Regisseurin Hania hat Ruben Östlunds THE SQUARE wohl bestens studiert und stellt ihre Art sarkastische Kunst- und Gesellschaftskritik in essenzielle Beziehung zur Flüchtlingsthematik und zum Wert des Menschen an sich. Der Film ist immer dann fast ätherisch heftig, wenn er knallhart bei Ali bleibt, gipfelnd in einer entblößenden Versteigerung. Anderes am Schickeria-Spiegel muß da verblassen. Weil DER MANN, DER SEINE HAUT VERKAUFTE aber auch konsequent spielerische Züge trägt und einfach formidabel aussieht, wird zeitgemäßes Kino daraus.

[ Andreas Körner ]