1 Bewertung

Die Liebenden (2011)

Französisches Kino: ein Déjà-vu

Hätte Madeleine als junge Frau im Schuhgeschäft, in dem sie damals arbeitete, nicht die roten Hackenschuhe mitgehen lassen, wäre sie niemals Gelegenheitsprostituierte geworden. Dann wäre sie niemals mit ihrem tschechischen Kunden, dem Arzt Jaromil, nach Prag gegangen und während des Prager Frühlings ohne ihn, dafür mit Tochter nach Paris zurückgekehrt. Jahrzehnte später wäre Tochter Véra niemals in ihre Fußstapfen getreten, um sich als amouröses Irrlicht durch Paris und London treiben zu lassen. Und niemals hätte sich Véra in einer rettungslosen Leidenschaft zum HIV-infizierten homosexuellen Drummer Henderson verloren und wäre ihm nach Amerika gefolgt – am Abend des 11. September 2001.

Christophe Honoré erzählt in seinem neuen Film von der Liebe im lichten Zeitalter der sexuellen Befreiung sowie von der Liebe im dunklen Zeitalter der Angst vor der Krankheit – und verknüpft beides wie beiläufig mit zwei prägenden geschichtlichen Ereignissen. Ein vielversprechender Ansatz, und doch: Woran liegt es, daß die emotionale Achterbahnfahrt ausbleibt?

Vielleicht ja, weil Honoré seinen Liebesreigen um jeden Preis in der Tradition des französischen Konversationskinos auflösen will, sprich nach außen Leichtigkeit versprühen, nach innen Brüchigkeit der Existenz herstellen. Heraus kommt der x-te Aufguß von DAS LEBEN IST EIN CHANSON mit Zutaten aus DIE UNERTRÄGLICHE LEICHTIGKEIT DES SEINS und INTIMACY. Wenn die Darsteller zum obligatorischen Gesang ansetzen und mit trauriger Miene durch die Straßen wandeln, weiß man wirklich nicht mehr: Ist das nun noch ein Zitat aus DIE REGENSCHIRME VON CHERBOURG, der Mutter französischer Singspiele, oder glaubt Honoré tatsächlich, ein Liedchen vom Inhalt „Ich kann ohne dich leben, aber ich kann nicht leben, ohne dich zu lieben“ verleiht dem Melodrama automatisch Tiefgang?

Aufsehen erregte der Film vor allem, weil Catherine Deneuve und Tochter Chiara Mastroianni erstmals zusammen auftreten, als Mutter und Tochter. Doch die Seelenverwandschaft zwischen Madeleine und Véra, die beide ihr Glück nicht an einen festen Partner hängen wollen, jede allerdings unter den Bedingungen ihres Zeitalters, überträgt sich durch diesen Kunstgriff nicht. Seltsam uninspiriert spielen auch Ludivine Sagnier als junge Madeleine und Honorés Liebling Louis Garrel. Nur Milos Forman als älterer Jaromil lebt. Vielleicht hätte er den Film gleich lieber selbst inszenieren sollen – auf Tschechisch.

Originaltitel: LES BIEN-AIMÉS

F/GB/Tschechien 2011, 135 min
FSK 12
Verleih: Senator

Genre: Drama, Liebe

Darsteller: Catherine Deneuve, Ludivine Sagnier, Chiara Mastroianni, Milos Forman, Louis Garrel

Regie: Christophe Honoré

Kinostart: 03.05.12

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...