14 Bewertungen

Freier Fall

Sie rauften und sie küßten sich

Diese merkwürdigen Blicke, diese Neugier, die gab es eigentlich sofort. Erst ging es zwischen Marc und Kay bei der Fortbildung auf der gemeinsamen Stube noch um Revierverteidigung, im Schwimmbad dann eine Kampelei, die schon deutlich erotischere Züge hatte, dazu die neckenden „Pussy!“-Rufe und schließlich der erste Kuß beim Waldlauf – verschwitzt, gierig, grob. Eine Befreiung, ein Aufbrechen, ein Anfang vom Ende.

Nach dem wilden Kuß wird weitergerannt in diesem stillen und eindrucksvollen Regiedebüt von Stephan Lacant. Das Laufen durch den Wald, die Runden auf dem Sportplatz, die Flucht aus Räumen und von Personen – all das hat schon etwas von einem Lauf wie ums Leben, denn um nicht weniger geht es, da für den jungen Polizisten Marc knallplötzlich alles zur Disposition steht: Karriere, Eigenheim und Familie. Seine Freundin ist hochschwanger. Zwischen ihr und Marc bricht sich das Unheil Bahn in vorerst zu vielen Fragen und folgenden Ausweichungen, schließlich in purem Mißtrauen und in verzweifelten Nachschnüffeleien. Die Tragödie zwischen dem in seiner sexuellen Identität weitaus sichereren Kay und dem taumelnden Marc bebildert sich in leidenschaftlichen Überfällen und den darauffolgenden Zurückweisungen. Am Ende kann es keine Sieger geben, dafür Verletzungen, Einsamkeit und eine aus Angst verlorene Liebe.

Lacant zeigt eine Überrumpelung, eine Entäußerung krustigen Begehrens, ein Aufflammen und ein Verzweifeln. Daß die Bilder dazu oft doch nur Fernsehbilder sind – geschenkt. Was das Buch, der Schnitt von Monika Schindler, die toll gefilmten Männerküsse und die beiden Hauptdarsteller Hanno Koffler und Max Riemelt aus dem kontroversen Thema, das explizit auch Homophobie und antischwule Gewalt bei der Polizei anspricht, machen, ist schon besonders. Lacant stellt den sehr persönlichen Konflikt in einen gesellschaftlichen Kontext, der Blick in den Polizeialltag enttarnt diesen als einen reaktionären Machobetrieb, eine Großküche, die nur zwei Zutaten kennt – Adrenalin und Testosteron. Das Versagen der Familie, dieser feige Bund, wird aufgezeigt, wir blicken in die verlogene Gemütlichkeit einer ach so heilen Doppelhaushälftenwelt.

Die stärksten Momente gehören aber den Jungs: Wie fragil die Hoffnungen Kays auf eine gemeinsame Zukunft, ein selbstbestimmtes Leben sind, zeigt sich, als er sicher nicht zum ersten Mal Marc fragt, ob er es denn nicht seiner Freundin einfach mal sagen will. Und dafür ein „Ich muß los!“ erntet.

D 2012, 101 min
FSK 12
Verleih: Salzgeber

Genre: Drama, Liebe, Schwul-Lesbisch

Darsteller: Hanno Koffler, Max Riemelt, Katharina Schüttler, Maren Kroymann

Regie: Stephan Lacant

Kinostart: 30.05.13

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.