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Kairo 678

Revolution in emanzipatorischem Rahmen

Woran denkt man wohl zuerst, wenn das Stichwort „Ägypten“ fällt? Klar: Wüste, Pyramiden, Urlaub eben. Sexuelle Belästigung und patriarchalische Strukturen nehmen dagegen vermutlich abgeschlagene Endplätze ein. Daß es sich jedoch auch genau dabei um traurige Realität handelt, davon erzählt dieser quasi im kalten Schatten der Sphinx angesiedelte Film.

Da wäre zunächst Fayza. Sie vermeidet schon länger Fahrten im titelgebenden Bus (aus dessen Radio ein Lied darüber informiert, daß Frauen verrückt seien), weil das prallvolle Verkehrsmittel Männern hauptsächlich dazu dient, weibliche Passagiere zu begrapschen. Fayza bleibt allerdings keine Wahl, zumal der Gatte Taxis als zu teuer ansieht; und so greift sie eines Tages verzweifelt zum Messer. Seba dagegen verlor einst als Folge einer Vergewaltigung neben ihrem Selbstbild auch den Mann und organisiert heute Verteidigungskurse. Gut besucht zwar, indes erfolglos, da andere Opfer lieber verdrängen. Nelly schließlich entkam knapp einem Übergriff und will vor Gericht ziehen – ohne zu ahnen, was sie noch erwartet.

Ein düsteres Bild des vermeintlichen Paradieses inklusive dreier Erzählebenen, geschickt miteinander verflochten. Darin nun drei Frauen, welche sich jeweils auf eigene Art wehren und sämtlich zu scheitern drohen. Kein Wunder, sind die Reaktionen doch erschreckend universell: So muß sich Nelly von ihren Schwiegereltern anhören, „ ... was die Nachbarn dazu sagen werden!“ Wobei „dazu“ natürlich für das Öffentlichmachen der Attacke steht, Schweigen und Dulden sind ergo Mittel der Wahl. Dagegen hat Fayza sicher durch aufreizendes Verhalten alles provoziert, ganz klar. Daß Mohamed Diab zum Beispiel in Form eines durchaus problembewußten Polizeichefs auch den Gegenpart skizziert, spricht für seine Fähigkeiten als Regisseur und Autor, macht erwähnte Denkmuster aber nicht weniger ekelhaft. Erschütternd zudem, wenn sich die drei Damen untereinander in Vorwürfen ergehen, an verkrusteten, zeitlebens eingetrichterten Vorstellungen hochschaukeln.

Und obwohl die finale Texttafel wenig optimistische Worte findet: Vielleicht hat KAIRO 678 auf seine Weise sogar ein winziges Stück beigetragen, den Arabischen Frühling ins Rollen zu bringen. Es wäre das Beste, was man über dieses ohne anprangernde Klischees auskommende, gerade deshalb gleichsam mutige und wichtige Stück Kino sagen könnte.

Originaltitel: CAIRO 678

Ägypten 2010, 100 min
FSK 12
Verleih: Arsenal

Genre: Drama

Darsteller: Nelly Karim, Nahed El Sebaï, Boshra

Stab:
Regie: Mohamed Diab
Drehbuch: Mohamed Diab

Kinostart: 22.03.12

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...