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L’Esquive

Über den schwierigen Umweg der Lyrik

Auch wenn die Typen im Stakkato Motherfucker sagen, auch wenn die dazugehörigen Mädels alles fett und kraß finden, selbst wenn jeder ihrer Schwüre hinter den Mauern der Pariser Banlieue auf das Leben ihrer Mütter oder wenigstens auf den Koran gefällt wird - trotzdem spult Regisseur Kechiche nicht das so übliche Bild vom sozialen Brennpunkt des von Immigranten bewohnten Großstadtgürtels ab.

Nein, er ruft sogar die Liebe auf den Plan, die Poesie gleich hinzu. Denn Krimo, unser rehäugiger und etwas schüchterner Held, wurde zwar gerade von seiner Freundin verlassen, hat aber schon ein Auge auf die dürre Lydia geworfen, und genau diese blonde Maid übt mit ihren Freunden ausgerechnet das Stück "Das Spiel von Liebe und Zufall" von Marivaux. Für eine Schulaufführung, um etwas Sinnvolles zu tun, um überhaupt etwas zu tun. Krimo sieht darin eine Chance, an Lydia ranzukommen, wenn er die Rolle des Harlekin übernimmt. Ausgerechnet der maulfaule Krimo in einem Stück des Sprachvirtuosen Marivaux!

Und so sind dies auch die amüsanten und anrührenden Szenen, wenn Krimo völlig verschüchtert von der zuerst so hoffnungsvollen und dann nur noch hysterisch-ohnmächtig brüllenden Lehrerin zusammengestaucht wird, er soll verdammt noch mal mehr Glück, mehr Lebensfreude in sein Spiel bringen. Krimo pfeift bald auf Marivaux und spricht Lydia schließlich direkt an, ob sie mit ihm gehen will. Sie will darüber nachdenken, wofür der überraschte Knabe nur die Worte hat: "Warum? Wie meinst du das?"

Doch das sind leider nur Momente, in denen die schlicht zu ausgedehnt erzählte Liebes-Stolperei überzeugt. Kechiche nimmt seiner zweiten Regiearbeit die Kraft, weil er sich in die Rolle des allzu stummen Beobachters flüchtet, das Laienspiel als solches durch zu strikte Zurückhaltung seinerseits zur Enttarnung bringt und keinen Fokus auf so etwas wie dramaturgische Zuspitzung setzt. Das raubt dem an sich charmanten Film doch schnell das Tempo, und der Reiz bleibt der einer wagen Idee.

Ganz unnütz, da aufgebauscht, gestaltet sich die brutale Polizeirazzia kurz vor Filmschluß. Kechiche rückt das soziale Spannungsfeld, die Ausgrenzung Benachteiligter unvermittelt in das Zentrum. Dabei wäre das eigentlich ein ganz anderer Film.

Originaltitel: L’ESQUIVE

F 2003, 127 min
Verleih: Peripher

Genre: Erwachsenwerden, Drama, Liebe

Darsteller: Osman Elkharraz, Sara Forestier

Regie: Abedellatif Kechiche

Kinostart: 30.06.05

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.