Noch keine Bewertung

Mein wahres Leben in der Provinz

Der Junge mit der Kamera

Er macht vor nichts und niemandem Halt. Seitdem er von Oma zum Geburtstag eine Digital-Kamera geschenkt bekommen hat, filmt der 16jährige Etienne alles, was sich bewegt, was ihn umgibt. Was Etienne begeistert, geht den anderen allerdings gehörig auf den Senkel.

Seine Mutter zeigt sich vor der dauerrotierenden Kamera vorerst schüchtern, schließlich kokett und bald schon enerviert. Seinen besten Freund Ludovic lauscht er aus, ob bei ihm nun schon mehr als nur Fummelei mit den zahlreichen Mädels lief. Das Interesse Etiennes, so viel wird zu schnell klar, ist nicht gerade beiläufig. Zu intensiv schnüffelt er auch um seinen Lehrer herum, der zudem noch mit seiner Mutter anbändelt. Und so dauert es endlose Wackelpartien, zusammenhanglose Dialogfetzen und ermüdende Lebensschnipsel, bis der Zuschauer nun in Bild und Ton das serviert bekommt, was er ohnehin schon wußte, ihn bloß nicht weiter interessierte: der Bub ist schwul ...

Der Titel suggeriert Ansichten, Reflexionen, er verspricht Inhalte, Konflikte, möglicherweise konterkarierende Ironie, wenn wahr auch wahrhaftig bedeutet. Doch davon ist nichts in dieser Film gewordenen Fingerübung zu spüren. Sämtliche Beziehungen in Etiennes noch kurzem Leben werden derart knapp angerissen, daß es zu gar keiner Geschichte reichen kann, allenfalls zu einer Idee. Und die haben die Regisseure, die vorher durch die beeindruckenden Filme JEANNE ET LE GARCON FORMIDABLE und FELIX zu gefallen wußten, leider nicht zu Ende gedacht.

Viel Augenmerk haben sie wahrscheinlich für ihren nicht untalentierten Hauptdarsteller aufgewandt. Aber einen recht ansehnlichen Knaben vor die Linse bzw. hinter die eigene Kamera zu plazieren, mag hübsch und anmutend ergänzen, einen ganzen Film stemmt es leider nicht. Die Filmemacher meinten: "Wir wollten einen Film mit der Digi-Kamera drehen und hatten die Geschichte eines Jungen, der seine Homosexualität entdeckt, im Kopf. Dann kam uns die grandiose Idee, beides zu verknüpfen." Ja, und?

So ist leider nur zu verlauten, daß die ohnehin recht karge Idee eines filmischen Duetts - im formalen wie erzählerischen Sinne - zum zähflüssigen Gegenstück zu Spannung und Subtilität geworden ist.

Originaltitel: MA VRAIE VIE À ROUEN

F 2001, 102 min
Verleih: Salzgeber

Genre: Erwachsenwerden, Schwul-Lesbisch

Darsteller: Jimmy Tavares, Ariane Ascaride, Lucas Bonifait

Regie: Olivier Ducastel, Jacques Martineau

Kinostart: 04.09.03

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.