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Merry Christmas!

„Stille Nacht“ im Schützengraben?

Es klingt fast wie ein Märchen, ist aber historisch verbürgt: Weihnachten 1914 schwiegen an der Westfront alle Waffen, vereinbarten deutsche, französische und britische Truppen eine Schlachtpause, um gemeinsam das Fest der Liebe zu feiern. Man verbrüderte sich, tauschte Geschenke, sang Lieder und zierte die Schützengräben zur moralischen Unterstützung mit an die Front gelieferten Tannenbäumen. Während des Ersten Weltkrieges kam es so zum kleinen Frieden, dessen vorschnelles Ende allerdings absehbar war.

MERRY CHRISTMAS erzählt diese Geschichte als Frontalangriff auf die Emotionen. Im einleitenden Gefecht wird dem Publikum nichts geschenkt – ein Stakkato aus Explosionen, gefallenen Soldaten und drastischen Darstellungen zeigt die schreckliche Fratze des Krieges. Dennoch hat es der vorliegende Film nicht nötig, das Grauen permanent zu visualisieren, zwei Stunden lang auf Blutfontänen und tote Leiber zu setzen. Hier sorgen vielmehr Details für Gänsehaut. So zum Beispiel, wenn eine Totale das Niemandsland nach einer gemeinschaftlichen Massenbeerdigung als Meer aus behelfsmäßigen Kreuzen zeigt. Umso überraschender (und berührender): Trotzdem bleibt immer Zeit für die Fokussierung auf Einzelschicksale inklusive Themen wie Schuld, Hoffnung oder Wünsche, und findet sogar unaufdringlicher Humor noch Platz. Letzteres sogar in drei Sprachen, da größter Wert auf Realismus gelegt wurde. Dies übrigens in jeder Hinsicht – zum Glück vergessen alle Beteiligten nie, daß es angesichts elf Millionen Opfer eben kein "Und wenn sie nicht gestorben sind ..." gab, und stellen sich so ernsthaft wie respektvoll in den Dienst des Sujets.

Da verzeiht man klaglos wenige Handlungsstränge, welche sich zum pathetischen Knäuel verheddern. Auch die im hier gegebenen internationalen Vergleich unübersehbaren schauspielerischen Schwächen auf teutonischer Seite – protagonistisch vertreten durch Diane Kruger und Benno Fürmann – fallen nicht ins Gewicht. Dieses ungewöhnliche Weihnachtsfest unter französischer Regie fungiert nämlich als nachhaltig ergreifendes Plädoyer und vollbringt die Großtat, den anonymen Armeen nicht bloß viele Gesichter, sondern gleichsam ihre Menschlichkeit zurückzugeben. Merci beaucoup.

Originaltitel: JOYEUX NOËL

F/D/GB/Belgien/Rumänien 2005, 115 min
Verleih: Senator

Genre: Drama, Historie, Kriegsfilm

Darsteller: Diane Krüger, Benno Fürmann, Guillaume Canet, Daniel Brühl, Gary Lewis

Stab:
Regie: Christian Carion
Drehbuch: Christian Carion

Kinostart: 24.11.05

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...