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Mr. Shi und der Gesang der Zikaden

Ein intimes und feinhumoriges Familienporträt

Die Leute seien hier so freundlich und offen, meint der alte Mann. Die junge Frau, die ihn auf dem Flughafen in den USA abholt, mahnt ihn, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Zwei Generationen, zwei Empfindungen, zwei Lebensprägungen - Vater und Tochter. Auftakt zu einem der schönsten Familienporträts des modernen Kinos und Zeugnis einer Rückbesinnung: die von Wayne Wang, der sich mit seinen Wurzeln beschäftigt, wozu auch das Inszenieren guter Filme zählt. Die letzten Werke des Wahl-amerikaners aus Hongkong dümpelten in arg seichtem Unterhaltungsgewässer, jetzt erzählt er eine sehr intime Geschichte, er wird persönlich. Diese spürbare Nähe des Regisseurs zum Stoff überträgt sich auf den Zuschauer, dem sich einiges offenbart, zum Beispiel wie wenig Generationen bisweilen unterscheidet, wieviel Verbindendes hingegen sich auftut. Und durch diese Erkenntnis, die dieser Film initiiert, entpuppt er sich als zutiefst humanistisches Werk. Das ist nicht wenig!

Zehn Jahre haben sie sich nicht gesehen, der Vater fliegt ungern, und doch folgt er eines Tages seinem tiefen Bedürfnis, die geliebte Tochter zu besuchen, deren neue Heimat kennenzulernen. Da prallen bereits auf dem Flughafen Welten aufeinander: um seinen Koffer zu stabilisieren und alte fast wertlos gewordene Dinge zu nutzen, bindet er das Halstuch der Roten Garde um sein Reisegepäck. Die Tochter moniert es, und doch bietet sie ihm selbst genug Gelegenheit, sich seine kommunistische Gesinnung gewahr zu halten: sie hat ein Verhältnis mit einem Russen, der Vater hört in Abwesenheit der Tochter deren sowjetische Folklore-CDs und bestaunt die Pluralität einer Matrjoschka. Überhaupt sorgen Shis Ausführungen zum Kommunismus, der seines Erachtens nicht per se schlecht sondern stets in den falschen Händen war, für auch sehr komische Momente. Etwa wenn er die jungen Mormonen Leach und Reiley in die Wohnung seiner Tochter läßt, sie von Joseph Smith schwärmen und er von Marx und Engels spricht.

Im Zentrum von Wayne Wangs berührendem Film steht aber natürlich die Annäherung zwischen Tochter und Vater, zu der eben auch beiderseitige Vorwürfe gehören, die teils sehr verletzend sind, auch weil der Vater eben zu lange nicht so gern " ...über schlechte Dinge" sprach. Da staut sich automatisch einiges an, was sachlich dann kaum zu diskutieren ist. Oder erst dann, wenn man zu Ruhe findet. Diese Chance ist den beiden gegeben, sie begreifen Unterschiede und Gemeinsamkeiten als Möglichkeit, sie erkennen, daß die Generationen zwar das Gleiche aber oft nur mit unterschiedlicher Methodik und anderem Tempo tun und empfinden. Wayne Wang ist überhaupt ein ganz fabelhafter Beobachter. In etwa wenn er - bei Mr. Shis Begegnung mit einer freizügigen Bikinischönheit - amerikanische Redseligkeit gegen fernöstliches Schamgefühl antreten läßt, wenn er Sprachbarrieren via lebensläufiger Gemeinsamkeiten komplett aushebelt. Dafür stehen die wundervollen Gespräche Shis mit einer vom Leben geprüften älteren Iranerin.

Und die Ehrlichkeit, die Shi dann an den Tag legt, daß er sich eben darüber sorgt, seine Tochter würde unglücklich leben und ihre Chancen vertun, hat so gar nichts Verplappertes wie man es auf einer Parkbank vermuten könnte. Diese Offenheit ist das Zeugnis einer großen Liebe zwischen einem Vater und seinem Kind.

Originaltitel: A THOUSAND YEARS OF GOOD PRAYERS

USA/J 2007, 83 min
Verleih: Pandora

Genre: Drama

Darsteller: Henry O, Faye Yu

Regie: Wayne Wang

Kinostart: 10.04.08

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.