Originaltitel: PATERSON

USA 2016, 117 min
FSK 0
Verleih: Weltkino

Genre: Drama, Poesie

Darsteller: Adam Driver, Golshifteh Farahani, Barry Shabaka Henley

Regie: Jim Jarmusch

Kinostart: 17.11.16

14 Bewertungen

Paterson

In der Ruhe liegt viel Kraft – Jim Jarmuschs Ode an die stilleren Helden

Auch für einen Busfahrer hat die Woche sieben Tage. Zwischen Aufstehen und Zubettgehen sind der Bus zu fahren, die Dinge des Alltags zu tun und jene, die man sich gönnt, ein paar Räder zu bewegen, die mit öffentlichem Nahverkehr nichts gemein haben. Für Paterson, jener Busfahrer, der so heißt, wie die Stadt, in der er schon immer lebt, käme etwas Entscheidendes hinzu: Gedichte zu schreiben, scheue Lyrik allein für sich, noch oder auf ewig unfertig fürs Draußen. Doch selbst diese Zeilen handeln zumeist vom festen Boden, auf dem der junge Mann steht.

Jim Jarmusch stiehlt sich in eine Woche Leben von Paterson hinein. Im Grunde ist es ein Film über alle Patersons der Welt, die echten und die übertragenen. Es ist eine Blende auf den – kein Schimpfwort übrigens – Trott kleiner Städte und kaum größerer Menschen, reich an Liebe, Feingeist und Wärme, arm an Spekulation, Konflikt und Tempo. Ein Jarmusch eben!

Wie unangestrengt er noch einmal seinen Blick auf Figuren schärft, sie noch einmal viel weniger machen läßt, aber umso mehr schaffen, ist auf neue Weise verblüffend und beruhigend zugleich. Für den Einstieg in die wundersame Welt des Jim Jarmusch wird PATERSON bestens taugen, während sich die Edelfans des Regisseurs nur wieder gegenseitig bewundern für ihren verdammt guten Geschmack.

Von Montag bis Sonntag erwacht Busfahrer Paterson – das Bett wird natürlich von oben gefilmt – neben seiner Freundin Laura. Wenn die Zeit reicht, erzählen sie sich ihre Träume. Neben silbernen Elefanten aus Persien gesellt sich da schon mal die frohe Erwartung auf Zwillinge hinzu. Zwillinge sind es auch, die sich als Symbole und reale Figuren durch die angenehm wabernde Restlaufzeit ziehen.

Patersons Tage sind Routine pur, Routine, die aus lauter Genügsamkeit wie ein selbstgewähltes Schicksal wirkt. Routine, der Paterson mit Gelassenheit und Friedfertigkeit begegnet. Laura hingegen ist ein exotischer Quirl, sprudelnd vor Visionen, mit Fimmel und Fummel, Ticks und Tacks. Ideen bis zum Ende zu denken, ist bestenfalls eine Option für sie, kein Muß. Man könnte ja was mit Cupcakes machen, lernen, Gitarre zu spielen und ein Countrystar werden, in jedem Falle aber das nächste schwarzweiße Muster in der Wohnung drapieren. Vielleicht ist irgendwo noch ein Fleckchen frei dafür? Der Duschvorhang! Oder der Ersatzreifen vom Wagen? Nein, der ist ja bereits schwarz angemalt und weiß dazu.

Jim Jarmusch entwickelt sich zusammen mit seinem phänomenalen Kameramann Frederick Elmes zum Observator. Gemeinsam folgen sie ihren „eineinhalb“ Hauptrollen und damit Adam Driver und Golshifteh Farahani und was sie daraus machen. Gemeinsam fallen ihnen wunderbare Kniffe ein: Fährt Paterson seinen Linienbus durch Paterson, sind Gespräche und Geschichten der Passagiere zu hören, zu sehen aber sind vor allem Füße. Liest Paterson seine auf der Parkbank neu entstandenen Zeilen in sich hinein, sind sie für uns im Schriftbild zu sehen. Geht er zum gleichsam routinierten Abendbier mit Marvin, der eher mißtrauisch beäugten und gütig geduldeten Familiendogge, wird Paterson in Docs Bar zum stillen Beobachter und Zeugen zumeist skurriler Ereignisse, bekommt mit, daß andere um die Liebe kämpfen, ohne daß es Sieger gibt. Kein Wunder, daß er irgendwann wie nebenbei ein junges Mädchen trifft, das Gedichte so sehr mag wie er. Und kein Wunder auch, daß das schlimmste Ereignis des ganzen Films ein elektrischer Defekt am Bus ist.

PATERSON ist der ideale Herbstfilm – fürs ganze Jahr! Er hat die Ruhe weg. Absolut! Das muß man sich in dieser Dominanz erst mal trauen im Schneller-Höher-Weiter des zeitgenössischen Kinos! PATERSON wird zur mehr als gut gemeinten Ode an die stillen Helden, an das Verborgene hinterm Plauderdampf, zur Feierstunde für Literatur, die vom Nobelpreis verschont bleibt. Literatur, die trotzdem auf Urheber verweist. Hier ist es William Carlos Williams, ein Kinderarzt aus New Jersey, der im vergangenen Jahrhundert fünf Bände über Paterson, das echte, geschrieben hat!

[ Andreas Körner ]