Originaltitel: SAINT AMOUR

F/Belgien 2016, 101 min
FSK 12
Verleih: Concorde

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Gérard Depardieu, Benoît Poelvoorde, Vincent Lacoste

Regie: Benoît Delépine, Gustave Kervern

Kinostart: 13.10.16

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Saint Amour

So viel sympathisches Elend

Was wurde er nicht schon belacht und totgesagt! Wie viele Köpfe geschüttelt über seine Pinkel-Putin-Eskapaden, den monströsen Bauch, die scheinbar wahllose Arbeitswut! Und doch: Gérard Depardieu steht noch, liefert in letzter Zeit ein ausgewählteres, oft stilleres, nicht selten selbstironisches Alterswerk ab. Der einstige Lack eines Sexsymbols freilich ist längst ab, nach einigen filmischen Krawall- und Polterjahren zeigt Depardieu aber wieder Qualitäten, die vielleicht nicht zum Grandseigneur des französischen Films taugen, doch plötzlich spielt der Kinoriese wieder Figuren voller Zerrissenheit, vom Leben ausgelaugt, dabei oft als Stehaufmännchen, alt gewordene Kerle, die sich kaum Mühe geben, Wunden zu pflastern, die einfach weitermachen und immer wieder ans Leben und auch an die Liebe glauben. Was sonst soll man auch tun?

Und genau so eine Figur ist auch dieser Jean in SAINT AMOUR. Von der Arbeit müde und trotzdem voller Hoffnung fährt der Bauer alljährlich mit seinem Sohn Bruno zur Landwirtschaftsmesse, dieses Mal sollte es doch wirklich klappen mit einer Prämierung seines stolzen Zuchtbullen. Doch die Sorgen Jeans sind eigentlich andere: Bruno ist ein Versager, der kein Mädchen findet, der wenig Ambitionen hat, den väterlichen Hof zu übernehmen, der sich auf der Messe wegschießt, indem er sich durch die sich präsentierenden Weinregionen säuft. Nach einer verbalen Grapschattacke landet der Tor schließlich hackedicht im Stroh, Jean zieht die Notbremse und schlägt eine gemeinsame Reise vor.

Eine Reise durch die Weinregionen soll es sein, von Paris geht’s in den Süden, und natürlich errät jeder, der schon mal eine Vater-Sohn-Geschichte mit derartiger Exposition gesehen hat, daß es sich bei dieser Hauruck-Voyage auch und vor allem um eine Annäherung zwischen dem einsamen Vater und seinem tölpelhaften, keinen Deut weniger einsamen Sohn handelt. Gemeinsam mit dem, was Liebesdinge anbelangt, gehörig auf den Putz hauenden Taxifahrer Mike war selten so viel sympathisches Elend in einem Wagen vereint, und es rührt schon an, wie die beiden Regiepunks Gustave Kervern und Benoît Délepine auch von Trauer erzählen, indem sie Vater und Sohn noch immer mit der verstorbenen Ehefrau und Mutter telefonieren lassen. Doch weil in der breiten Brust der Regisseure ein gutes und zugleich wildes Herz schlägt, lassen sie die Liebeswütigen schließlich keiner Geringeren als Venus begegnen, und Michel Houellebecq darf gar im rustikalen Schlafanzug ein Lager richten.

SAINT AMOUR ist schon eine große One-Man-Show Depardieus, jedoch ganz ohne Aufdringlichkeit, dafür voller Verletzlichkeit und mit einer gehörigen Dosis des für die belgischen Filmemacher bekannten und bei einem robusten Publikum schwer geschätzten ruppigen Humors. Diese Vater-Sohn-Geschichte ist aber eben nicht nur schräg, denn Kervern und Délepine haben gemeinsam mit Depardieu und dessen Filmsohn Benoît Poelvoorde einen berührenden und durchaus auch sanftkomischen Film gedreht. SAINT AMOUR ist ein liebevoller, manchmal wunderbar idiotischer und immer doch zärtlicher Ausflug in Trinkgewohnheiten und familiäre Abgründe.

Die Rolle Depardieus verlangt ihm einige Courage ab: Allein die – nun, sagen wir mal – sehr einnehmende Begegnung mit der rothaarigen Liebesgöttin sorgt für einen durch Staunen und Entsetzen zugleich begleiteten Lacher, und daß der große Dicke ohnehin Humor besitzt, beweist auch seine Sorglosigkeit ob des reichlich schräg sitzenden, eher an einen gemeinen Kaffeepudel gemahnenden Haarersatzes.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.