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Unter Dir die Stadt

Der Banker und das Mädchen

Die Finanzwelt, dort, wo die Mächtigen der Gegenwart sitzen, ist eigentlich eine Sphäre, die per se schon fiktiv ist, die zu Mythen und Märchen einlädt. Geschichten, die früher im Umkreis von Königen angesiedelt waren, müssen heute dort spielen. So sieht es zumindest Christoph Hochhäusler, und seine Inszenierung verdeutlicht das mit aller Konsequenz: Die grauen Männer in Designer-Anzügen, die, indem sie das Kapital verschieben, über die Stadt herrschen, erscheinen an ihren glänzenden Konferenztischen wie die Ritter der Tafelrunde.

Es ist jedoch eine biblische Geschichte, die Hochhäusler, der mit MILCHWALD schon einmal eine Art stilisierte Version von „Hänsel und Gretel“ an der deutsch-polnischen Grenze gedreht hat, zum Ausgangspunkt seines Liebesthrillers macht. König David begehrt Batseba und schickt ihren Gemalen Uria in den Krieg, um freie Hand zu haben. Eine Geschichte über Größenwahn und Realitätsverlust wird es hier, die des Frankfurter Top-Bankers Roland und von Svenja, der Frau eines aufstrebenden Angestellten, der kurzerhand nach Indonesien befördert wird. Man kann nicht alles haben, was man will, das sind die Worte, mit denen Svenja Roland auf einer artifiziellen Party provoziert. Er kann. Doch er verliert die Kontrolle in diesem Spiel.

UNTER DIR DIE STADT ist keine deutsche Version von WALL STREET, keine Handlung um fallende und steigende Aktienkurse. Die Finanzkrise verlagert sich auf ein anderes Gleis, das der erotischen Machtspiele und – wenn man es denn so sehen will – der Liebe. Mit Robert Hunger-Bühler wurde für Roland ein faszinierendes Leinwandgesicht entdeckt, das eine ambivalente Aura aus Undurchsichtigkeit und innerer Gebrochenheit ausstrahlt. Nicolette Krebitz verkörpert souverän eine Frau, die immer wieder überrascht, indem sie das Katz-und-Maus-Spiel umdreht.

Doch es ist kein psychologisches Erzählen, Hochhäuslers Filmwelten sind immer einen Schritt neben der faßbaren Realität, aufgeladen mit einer unergründlichen Spannung, irritierend. Zur formstrengen, stark räumlichen Inszenierung fügt sich hier eine wunderschöne Kamera. Ein hermetischer Blick auf die Stadt Frankfurt.

Die meisten Szenen spielen in luftigen Höhen, in den gläsernen Türmen, diesen kargen Palästen. Die Kamera findet schwindelerregende Einstellungen, die Frankfurt als eine Stadt in den Wolken erscheinen lassen, eine Stadt, die zugleich im Jetzt und in der Zukunft liegt, im Hier und im Überall.

D 2010, 110 min
Verleih: Piffl

Genre: Drama, Krimi

Darsteller: Nicolette Krebitz, Robert Hunger-Bühler, Mark Waschke

Regie: Christoph Hochhäusler

Kinostart: 31.03.11

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...