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Wanja

Solo für Anne

Anne Ratte-Polle? Wer sie auf der Leinwand gesehen hat, den wird dieses Gesicht zu verfolgen wissen. Nur, wer hat sie auf der Leinwand gesehen? Andreas Dresen holte sie für WILLENBROCK – ihm fehlte die Zuschauerresonanz. Romuald Karmakar besetzte sie in DIE NACHT SINGT IHRE LIEDER – kaum einer hörte hin. Andere Kinohauptrollen hatte Anne Ratte-Polle in klassischen deutschen C-Filmen inne. Dann schon eher „Tatort“ oder Theater! Nur sind Gesichter dort immer so weit weg.

Auch Regisseurin Carolina Hellsgård ist diesem Gesicht verfallen. Sie hat für ihr Debüt nie an eine andere Wanja gedacht, gar nicht erst gecastet, es sei immer Anne gewesen. Und die zeigt in diesem naturalistischen Drama eine große Leistung, ein Solo, das sitzt. Muß sie auch, denn es gibt für sie einen Riß zu spielen. Der Riß, der sich auftut, wenn man sich selbst mißtraut, nachdem einem die Menschen das Vertrauen entzogen haben.

„Banküberfall. Unter anderem.“ Nicht nur, als sie die Frage beantworten soll, weshalb sie jahrelang im Gefängnis gesessen hat, ist Wanja Walloschke knapp bei Worten. Sie schaut lieber. Genau hin. Man weist ihr eine Wohnung zu, sie nimmt an. Man vermittelt der Frau um die 40 ein Praktikum mit Aussicht auf etwas Festes, sie freut sich still. Ihr Bewährungshelfer ist ein Netter, Leben aber hat sie um Längen voraus.

Als ein Rabe ins Wohnzimmer flattert, lächelt Wanja ihn an, als käme Besuch. Warum nicht? Dann eben Tiere! Enten in der Badewanne. Sie selbst ist eine Seele, die sich verflogen hat und noch einmal landen will. Was dabei helfen soll, ist ihr Sinn für Pragmatismus. Auch den lakonischen Unterton konnte ihr bislang noch keiner austreiben. Und sie weiß sich zu wehren dort oben in der norddeutschen Provinz. Sie sucht sich selbst ein zweites Praktikum in einem Trabrennstall, gibt clever vor, sich mit Pferden auszukennen. Abends in der Kneipe sagt sie dem einzigen für etwas Nähe in Frage kommenden Mann eher stumm, daß sie will. Morgens geht sie einfach fort aus seinem Bett. Der 16jährigen Emma vom Stall ist Wanja wie eine Schwester, dabei könnte sie ihre Tochter sein. Es gibt eine echte Tochter. Fern, sehr fern!

Sicher, WANJA ist ein reduziert inszeniertes, dadurch vielleicht typisches, nüchternes, in Teilen deprimierendes deutsches Befindlichkeitsdrama. Allein durch Anne-Ratte Polle wird es zu einem extrem berührenden Frauenporträt.

D 2015, 87 min
FSK 12
Verleih: Basis

Genre: Drama

Darsteller: Anne Ratte-Polle, Nele Trebs, Robert Viktor Minich, Marko Dyrlich

Regie: Carolina Hellsgård

Kinostart: 30.06.16

[ Andreas Körner ]