Editorial 11/25

[ 30.10.2025 ] Ich mag ja, wenn das Kino Grenzen auslotet, auch die des sogenannten guten Geschmacks, wenn sich einige verstanden und andere herausgefordert fühlen. Das muß Kunst können. Beim Film denke ich da an die surrealen Einfälle eines Luis Buñuel, die schrillen Bürgerschrecken des jungen Pedro Almodóvar, die durchsexualisierten Teenage-Angst-Movies von Larry Clark und Gregg Araki, die kühlen Provokationen von Michael Haneke oder eben an so manch’ unerwarteten Grenzgang, womit wir bei Océane wären. Sie kennen Océane nicht, haben aber die Chance auf ein Kennenlernen in der Komödie DAS PERFEKTE GESCHENK. Océane ist eine fiktive Sängerin, die mit ihren Liedchen Mädchen ins Herz trifft. Nun macht sie ein Chanson einer betagten Dame zum Geschenk: Tante Rivka aus der weitläufigen Familie von Océanes neuem Freund, Holocaust-Überlebende und charakterlich ein wunderbares Einzelstück. Bevor sie spontan loskomponierte, erwog Océane, Rivka eine Ausgabe von „Das Tagebuch der Anne Frank“ zu schenken. Der Buchhändler riet ab ...

Das ist ein Lacher im Kino, weil es komisch ist. Von ungelenker Intuition und schon daher komisch. Doch werden sich bereits hier nicht wenige empören, um sich anschließend nach diesem eher harmlosen Gag zurückzusehnen, denn Océane legt mit dem eigentlichen Geschenk noch eins drauf. Sie hebt vor den ungläubigen Augen und Ohren Rivkas zu „Tochter von Auschwitz“ an, eine süßliche Melodie verziert den kindsnaiven Text von Einsamkeit, Kahlköpfigkeit, Hunger, Dunkelheit, der Sehnsucht nach belegten Broten, dann Zukunftshoffnung, Nazis adé ... Ich fand es brüllkomisch, weiß aber, daß es Anderen anders gehen wird. Doch Kino darf und soll genau das – hier, weil es zum einen ganz anders weitererzählt wird, weil es Rivkas großherzige Reaktion geben wird, und weil Kino auch mal Zumutung sein kann. Océane macht sich nicht lustig über das Leid der Juden, so ist sie gottlob nicht gestrickt, sie will empathisch sein, sie ist es auch, mit ihren Mitteln und Möglichkeiten. Unverstellt, vielleicht nicht ganz durchdacht, immer aber aus reinem Herzen.

Die Regisseure Raphaële Moussafir und Christophe Offenstein haben sich für einen deftigen Lacher was getraut, wissen sehr wohl um den unbezwingbaren jüdischen Humor und hatten keine Furcht vor den allgegenwärtigen Shitstorms in dieser sich zu schnell empörenden Welt. Und wenn Tante Rivka gefragt wird, was ein Armenier ist, legt das Drehbuch nach: „Ein Armenier ist ein Jude, nur viel weniger lustig!” Auch für dieses Pfeifen auf die sogenannte und schon vom Begriff her blöde politische Korrektheit liebe ich das Kino.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.