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22 Bullets

Spannendes Genrestück zwischen den Stühlen

Mit seiner dunklen Vergangenheit hat er abgeschlossen. Als bürgerliches Leben mit Frau, Kindern und Hund scheint die Gegenwart auf. Doch so einfach geht das nicht, die Vergangenheit ist nicht vergangen. In einer Tiefgarage im alten Hafen von Marseille ereilt Charly Mattei, den einstigen Paten der Stadt, sein Schicksal in Blei. Durchsiebt von 22 Kugeln, abgefeuert von einem achtköpfigen Mordkommando, ist der Mann nur noch ein durchlöcherter Haufen blutiges Fleisch. Selbst Vergangenheit also. Glaubt man. Doch Mattei überlebt. Kaum genesen, weiß der Mann, was er zu tun hat. Daß er jetzt halbseitig gelähmt ist, ist kein Grund, nicht auf Rachefeldzug zu gehen.

Eine Film noir-Oper unter dem sonnengleißenden, gleichwohl winterkalten Licht Südfrankreichs. Basierend auf der wahren Geschichte des legendären Mafiapaten Jack Imbert, der in den 70er Jahren über Marseille herrschte. Und dem jetzt Jean Reno als Charly Mattei sein unvergleichliches Gesicht leiht in einem Film gekonnt ausgestellter Stilisierung. 22 BULLETS ist, was Sergio Leone einst „Cinema-Cinema“ nannte. Erzählerischer Realismus ja – aber nur als die Ingredienz für eine Überhöhung der Realität hin zu einem Kino, das, wie im konkreten Fall, das Genre als eine Ikonographie der Gewalt, der Posen, der Gesten und Interieurs, des Lichts und der Farben malt.

Womit Regisseur Richard Berry dem Kino endlich mal wieder eine Rarität schenkt: Einen Genrefilm für ein erwachsenes Publikum, der in Frankreich lässig die Millionen-Zuschauergrenze toppte. Im ordentlich fraktionsgeteilten Kino-Deutschland muß man diesbezüglich eher skeptisch sein. Denn weder das altbackene cineastische Reinheitsgebots-Gütesiegel „Arthouse“ paßt auf 22 BULLETS, noch der nichtssagende „Popcorn-Kino“-Stempel. Zwei Stühle, zwischen denen 22 BULLETS lümmelt.

Daß er das auch etwas selbstgefällig macht, sei dabei nicht unerwähnt gelassen. Mitunter geriert sich der Film mit einer Jovialität, die anzeigen soll, daß man sich hier in Nachbarschaft zu großen Nummern wie DER PATE, CLAN DER SIZILIANER oder RIFFIFI AM KARFREITAG verortet. Diese Klasse nun hatte zuletzt unter Umständen Jean-François Richets zweiteiliges Gangsterepos PUBLIC ENEMY NO. 1 (2009). Berrys Inszenierung fehlt dafür einfach eine Nuance an Komplexität. Doch um es nochmals zu sagen: 22 BULLETS ist spannendes, geradliniges Genre, einfach zu gut und zu selten, um es zu ignorieren.

Originaltitel: L’ IMMORTEL

F 2010, 115 min
FSK 18
Verleih: Wild Bunch

Genre: Action, Thriller, Drama

Darsteller: Jean Reno, Kad Merad, Jean-Pierre Darrousin

Regie: Richard Berry

Kinostart: 02.12.10

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.