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Auf der Suche

Reifes und brillant besetztes Drama über Verlust und Entfremdung

Der Regisseur Jan Krüger hat das, was derzeit nicht allzu vielen Filmemachern zu attestieren ist: Er verfügt über eine eigene Handschrift. Seine Arbeiten erkennt man, sie stechen aus dem deutschen Filmgeschehen heraus. Nein, nicht wie bei Petzold, Dresen oder Hochhäusler, das ist noch nicht die Liga, in der Krüger spielt, aber er ist auf dem Weg dahin, denn er hat bereits einiges mit denen gemein: Jan Krüger denkt schon beim Schreiben filmisch, er schreibt Bilder, in diese setzt er Figuren, die nicht papieren sind, die interessant werden, weil sie Brüche zeigen, und die an dieser Zerrissenheit selbst leiden. Er kreiert also ambivalente Charaktere.

Das war bereits in der Kurzfilmsammlung VERFÜHRUNG VON ENGELN so, da hat der Filmemacher sein erstes großes Thema gefunden: Adoleszenz, (homo)sexuelle Identität, das Zerr- und Wechselspiel aus Nähe und Distanz, pubertäre Aggression. Beeindruckend verfeinert wurde dies in seinem ersten Langspielfilm UNTERWEGS, nur ganz selten erlag er da (wie noch in RÜCKENWIND, seiner zweiten Regie) der Verführung des Auftragens.

Gänzlich ohne Manierismen und geradezu von einer beeindruckenden Reife zeigt sich nun sein aktueller Film AUF DER SUCHE, in dem die Motive der Handelnden trotz oder eben wegen offener Fragen auch für den Zuschauer erkennbar und plausibel sind, man interessiert sich zwangsläufig für die zwei zentralen Figuren, sicherlich auch, weil sie von zwei in ihrer Methodik ganz unterschiedlichen, aber brillant agierenden Schauspielern gegeben werden. Corinna Harfouch und der junge Nico Rogner spielen auf Augenhöhe ein Paar wider Willen: Valerie macht sich in Marseille auf die Suche nach ihrem verschollenen Sohn, Jens gesellt sich ihr nach etwas Sträuben zur Seite, er und Simon waren einst Liebende. Die Spur führt nach Marokko ...

Man muß Harfouchs Gesicht einfach sehen! Wie sie im Mutterinstinkt „Irgend etwas stimmt hier nicht ...“ sagt, wie sie all die Sorge, das Leid um den verloren geahnten Sohn ausdrückt, wie sich darin Versäumnisse, Schuld, Angst, Enttäuschung und Selbstvorwürfe spiegeln – das geht nah, das berührt tief. Der Film wirft interessante Fragen auf: Warum entfernen sich Menschen? Wieviel oder besser wie wenig wissen die Eltern über ihre entwachsenen Schützlinge? Somit wird das Drama auch zum Film über Entfremdung – zu den Menschen, die man liebt und zu dem Land, in dem man aufwuchs.

Staunenswert ist, daß AUF DER SUCHE trotz seines sehr traurigen Endes etwas verblüffend Leichtes hat. Das mag daran liegen, daß Krüger Deutschland verließ, seine Kamerafrau Bernadette Paassen das Licht der Provence geschickt einfing, vor allem aber liegt es an den gut geschriebenen Dialogen und – nochmals – am Spiel der beiden Hauptdarsteller. Da paßt jedes befreiende Lachen zu den Tränen am Schluß, jede innerliche Entfernung zu der in Momenten aufblitzenden Distanzlosigkeit, da wirkt vieles wie der Seelenflirt einer Zwangsgemeinschaft. Stark!

D/F 2010, 88 min
Verleih: Salzgeber

Genre: Drama

Darsteller: Corinna Harfouch, Nico Rogner

Regie: Jan Krüger

Kinostart: 24.11.11

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.