D 2020, 183 min
FSK 12
Verleih: EntertainmentOne

Genre: Drama, Literaturverfilmung

Darsteller: Welket Bungué, Albrecht Schuch, Jella Haase, Joachim Król

Regie: Burhan Qurbani

Kinostart: 16.07.20

22 Bewertungen

Berlin Alexanderplatz

Gossenkönige, Rinnsteinprinzessinnen und das Sehnen nach Zärtlichkeit – eine Kinowucht

Daß dieser fulminante Film, dieses Kinoereignis, auf der zurückliegenden Berlinale zwar Premiere feiern durfte, darüber hinaus aber von der trübsichtigen Jury nicht mit Preisen bedacht wurde, darf durchaus als Adelsschlag verstanden werden, denn in diesem Jahr hatte das Festival, das sich in den letzten Ausgaben schon nicht mehr zum Kino bekannte, mit Kino, also richtigem Kino, nichts am Hut.

Kino, das sich eben was traut, das auch mal auf den Putz haut, das gleich zu Beginn feuerblutrote Bilder auf den Kopf stellt und sich eine Breitbeinigkeit erlaubt, weil sie gefordert ist, eben genau so, wie sich endlich nun einer namens Burhan Qurbani herausnimmt, der literarischen Wucht Alfred Döblins das perfekt sitzende, zeitgemäße, in allen entscheidenden Grundtönen dem Original entsprechende und trotzdem vollends emanzipierte, in der anderen Kunstform, eben Kino!, genüßlich badende Äquivalent entgegenzustellen und uns um Ohren, Augen, Sinne und – entscheidend – ins Herz zu ballern. All das glückt dieser Adaption aufs Vortrefflichste, keine Minute ist in diesen prachtvollen drei Stunden verschwendet, die implizierten Zitate setzen der Getriebenheit der Hauptperson, aus Franz Biberkopf wird der über die Meere flüchtende Afrikaner Francis, einen mal orakelnden, bisweilen trügerisch beruhigenden Konterpunkt, den eine Geschichte über Todesangst, falsche Freunde und die fehlende Sonne, über Rinnsteinprinzessinnen und Gossenkönige dringend braucht, eine Geschichte über einen, der unbedingt gut sein wollte.

Es sind die Umstände, die dies und vieles verhindern, die bestimmen, an welchen Strand des Lebens man gespült wird. Gut sein will einer in einer bösen Welt, die ihn schon vieles sein ließ – Schmuggler, Dealer, Mörder und nun Malocher und Liebhaber. Hin- und hergerissen wird er sein – zwischen dem Drogen- und Sexmaniac Reinhold, der ihm Arbeit und Einblick in moralische Tümpel verschafft, und Mieze, die ihren Körper verkauft, sich aber inständig nach Liebe sehnt. Gut sein will einer und läßt sich eben deswegen auf ein mephistophelisches Bündnis ein, an dessen Seitenbanden immer wieder Abschaum und Verderbnis ihre faulen Zähne zeigen.

BERLIN ALEXANDERPLATZ ist in seiner Bilderschönheit reinste Kinolyrik, eine heftigen Sog erzeugende Selbstzerstörungsballade, und Qurbani scheut sich nicht vor kraftvollem Pathos, er läßt seine Figur immer und immer wieder straucheln, stürzen und sich aufrappeln, Hoffnung ist das Zauberwort, ein verlogenes natürlich in einer Welt der Vergewaltiger, Totschläger und Fingerbrecher.

Doch BERLIN ALEXANDERPLATZ ist auch ein geradewegs zärtlicher Film über das Fehlen von Zärtlichkeit, über die Absenz der Mutterliebe, und eben genau darin liegt auch das Glaubwürdige, wenn einer, der anständig sein wollte, in die Verkommenheit taucht, sich unbewußt auf Augenhöhe begibt zu Menschen, die gar keine sind. So kann das durchaus laufen in einer Welt, in der keiner frei von Schuld ist. Franz’ Furchtlosigkeit ist auch die des Regisseurs, der sich eine ordentliche Portion Anmaßung zugesteht, eben so, wie es sich für einen gehört, der sich mit ganzem Herzen dem Kino verschrieben hat.

Seine Equipe tut es ihm gleich, man konzentriere sich beispielsweise auf den Sound des Films oder auf das furchtlose Spiel von Albrecht Schuch als teuflischer Reinhold und auf Welket Bungué sowieso, dem es gelingt, seine Figur durch immer neue Gnadenfristen vor vollständig abblätternder Schönheit und amputiertem Stolz zu verteidigen.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.