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Chefs Leckerbissen

Von schwulen Vätern und argentinischen Schlüpferstürmern

Mit Verlaub – der deutsche Titel ist saublöd. Weil er zum einen so gut wie gar nichts sagt, und das, was er meint auszudrücken, falsch ist, da es mit dem Inhalt des Films nichts gemein hat. Da greift der spanische Originaltitel schon besser, denn das, was da gerade im Leben der Nervensäge Maxi passiert, ist mindestens „außer der (Speise)Karte“, abseits des Normalen sowieso. Aber was heißt schon normal, wenn es um eine Geschichte aus dem Leben eines Gastronomen geht?

Maxi ist Wirt mit Leib und Seele – und cholerischen Anflügen. Anlaß zu diesen gibt natürlich immer wieder seine bis zur Ausbeutung arbeitende Equipe in diesem etwas feineren Restaurant mitten im Homokiez Chueca. Sie verstehen ihren Chef, eine keifende Tunte vor dem Herrn, einfach nicht richtig, wenn er blumig über Spargeltränen, Meerschaum, Hummer und kryogenisierte Kakaobutter spricht – und am Ende trotzdem nur gutes Essen meint. Doch all das Gezeter und der alltägliche Kampf um die Gunst der Gourmets, das sind doch Kleinscheiß im Vergleich zu dem, was in Maxis Privatleben passiert und nun vor seiner Tür steht: Alba und Edu, 10 und 15, seine Kinder! Deren Mutter starb, nun müssen sie zu ihrem leiblichen Vater. Streß ist vorprogrammiert – auf beiden Seiten. Und jetzt drückt die ohnehin temporeich eröffnete Geschichte so richtig aufs Gas, schon kann ein Komiker par exzellence sein ganzes Spektrum entfalten. Dieser Javier Cámara hat Charisma, er hat Energie, er jongliert mit Koketterie und hysterischen Ausbrüchen. Cámara betritt die Szenerie wie ein Klon aus Hans Moser und Louis de Funès in deren besten Zeiten – komplett unter Strom und immer kurz vor der finalen Schnappatmung. Doch der Regisseur mit dem nahrhaften Vornamen war klug beraten, Cámara zwar ins Zentrum der Geschichte zu stellen, aber keine seiner Nebenfiguren zu vernachlässigen. Da wäre die Restaurantleiterin Alex, eine von den Männern schwer enttäuschte, wilde Frau, die – sinnbildlich – auf den Brustwarzen kriecht, um die Gunst des Argentiniers Horacio zu erlangen. Und dann doch wieder einmal zu spät merkt, daß auch der Latino eine Susi ist und ausgerechnet dem dicklichen Maxi schöne Augen macht. Dieser Horacio ist aber auch ein Typ! So ein Zarter, der keinem richtig weh tun kann und zudem mit einem Lächeln ausgestattet, das selbst den Hartgesottensten den Schlüpfer runterzieht. Und da hätten wir noch der Wolverine-Lookalike Ramiro, ein unzuverlässiger, aber letztendlich liebenswürdiger Koch, der Chefs lang ersehnten Michelin-Stern vermasselt. Außerdem die naive Mama, die wirklich glaubt, daß Maxi seinen Sohn begrabscht, nur weil sie sich lieb umarmen.

Der Film schrammt selbstbewußt und haarscharf an der Zotigkeit vorbei, zu dieser Gratwanderung paßt auch der klare Zungenschlag der Figuren: Alex vergißt im Suff schon mal die gute Erziehung, während sie sich auf Maxi stürzt („Leck mir die Muschi, Du Tucke!“), und Ramiro rutscht in Wut „Maxi ist eine schlecht gefickte Zicke!“ raus. Womit er nicht unrecht hat und zumindest einen Grund für dessen Ausraster offen legt.

Natürlich ist dieses Lachstück reichlich oberflächlich, da wird der Tod der Mutter kurz angerissen, und weiter geht’s. Natürlich ist der Lärmpegel dieser Komödie nix für festgefahrene Feingeister. Aber in jedem Fall ist dem Film, der fast zum Paradestück einer Boulevardkomödie gereicht, zu attestieren, daß er dafür sorgt, daß man knapp zwei Stunden eine Mordsgaudi hat. Und das ist doch immerhin etwas ...

Originaltitel: FUERA DE CARTA

Spanien 2008, 103 min
Verleih: Pro Fun

Genre: Schwul-Lesbisch, Tragikomödie, Liebe

Darsteller: Javier Cámara, Lola Dueñas, Benjamín Vicuña, Chus Lampreave, Carlos Leal

Regie: Nacho G. Velilla

Kinostart: 22.10.09

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.