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Der König tanzt

Bildgewaltiges Kulturgeschichts-Tableau

Die großen historischen Sujets haben es ihm angetan. Nachdem Regisseur Gérard Corbiau mit seinem mehrfach preisgekrönten Film FARINELLI bewies, daß sich unter der Patina von mehreren Jahrhunderten der Glanz vergangener Epochen und die Vitalität großer Persönlichkeiten wie selbstverständlich freilegen lassen, gilt sein Interesse nun ein weiteres Mal Denkmälern der europäischen Kulturgeschichte, deren menschliche Züge zwischen den Seiten dicker Lexika fast verloren gegangen scheinen. Ludwig XIV und Jean-Baptiste Lully bilden die Epizentren in Corbiaus bildgewaltiger Inszenierung, die sich in Ausstattung und Musik als eines Königs würdig erweist - erhabene Schönheit bis ins winzigste Detail.

So wie die Beziehung zwischen dem Sonnenkönig und seinem Hofkapellmeister zwischen freundschaftlicher Zuneigung und höfischer Distanz schwankt, balanciert auch Corbiau zwischen historischem Tableau und privater Geschichte. Schon der Prolog zeigt das Ende: Der verbitterte Lully hat den verzweifelten Kampf um die Liebe seines Patriarchen verloren. Von hier aus werden fast fünfzig Jahre in einer kaum unterbrochenen Rückblende geschildert: Der junge, überaus talentierte italienische Musiker Lully stößt am französischen Hof zunächst auf brüske Ablehnung. Doch in dem 14-jährigen König Louis, der Musik und Tanz ebenso verfallen ist wie er selbst, findet Lully einen Verwandten im Geiste, der ihm Förderer und Beschützer zugleich ist. Der König tanzt zu Lullys Musik, amüsiert sich bei den Dramen von Molière und verteidigt seine Schützlinge gegen das Mißtrauen und die Anfeindungen des Hofstaates.

Im Schweinsgalopp referiert Corbiau Musik-, Tanz- und Theatergeschichte, stellt den Musen die Zwänge großer Politik und höfischer Gesellschaft gegenüber, verliert dabei aber seine Charaktere mehr und mehr aus den Augen. Unter Prunk, Kunst und Intrigen verblassen die Gesichter wieder, deren Konturen sich gerade deutlicher abzuzeichnen begannen. Ein fauler Kompromiß? Die unvermeidbare Verbeugung vor der übergroßen Fülle des Historischen?

Originaltitel: LE ROI DANSE

Belgien/F/D 2000, 115 min
Verleih: Helkon

Genre: Historie, Schwul-Lesbisch

Darsteller: Benoît Magimel, Boris Terral, Tcheky Karyo

Regie: Gérard Corbiau

Kinostart: 26.04.01

[ Sylvia Görke ]