Originaltitel: DER PIANIST

F/D/Polen/GB 2002, 148 min
FSK 12
Verleih: Tobis

Genre: Literaturverfilmung, Biographie, Drama

Darsteller: Adrien Brody, Ed Stoppard, Thomas Kretschmann

Regie: Roman Polanski

Kinostart: 24.10.02

Noch keine Bewertung

Der Pianist

Fremde Erinnerungen an die eigene Geschichte

"Es ist ein Hollywood-Märchen und doch wahr ...". So Wolf Biermann in seinem Essay im Anhang von Wladislaw Szpilmans Erinnerungsbuch an das Warschauer Getto "Das wunderbare Überleben". Und tatsächlich: einer der namhaftesten Regisseure verfilmte nun diesen Stoff - nicht als Märchen, sondern als Stationendrama einer gegen alle Wahrscheinlichkeit wunderbaren Rettung. Szpilman interpretiert Chopin für den Polnischen Rundfunk, deutsche Bomben unterbrechen sein Spiel - für beinahe sechs Jahre. Polen ist besetzt, der Brandmarkung der jüdischen Bevölkerung folgen Demütigungen, Beschränkungen, Kasernierung im Getto, willkürliche Grausamkeiten, die beständige Bedrohung durch Deportationen und die Ungewißheit, wohin und wozu die Züge ihre unfreiwilligen Insassen führen würden.

Der Jude Szpilman entkommt auf die andere Seite der Getto-Mauern, vor Augen das Bild der Eltern und Geschwister beim Antritt ihrer Reise in den Tod. Ein jüdischer Kollaborateur riß ihn aus der Warteschlange vor den Waggons, ein schmieriger Pole schlägt Kapital aus seiner verzweifelten Lage im Versteck, ein deutscher Offizier bringt dem gegen Kriegsende völlig Verstörten und Verwahrlosten Brot und einen Mantel. Szpilmans Memoiren diktieren die Dramaturgie, die einen zur Passivität Verdammten von einer Fluchtstation zur nächsten treibt. Sie diktieren den nüchternen Ton, in dem Polanski Brutalität und permanenten Schrecken zu einer stummen Verwunderung darüber verdichtet, daß dieser Mann immer noch am Leben ist - Adrien Brody gräbt seiner Figur das erloschene Staunen eindrucksvoll ins Gesicht.

Man sagt, dies sei Polanskis persönlichster Film und meint damit die Nähe zu seiner eigenen Biographie. Er selbst überlebte das Getto von Krakau und die Bomben auf Warschau. Vielleicht ergreift er gerade deshalb manchmal die Flucht vor dem Aufgehen in diesen fremden Erinnerungen - in eine vorsichtig angedeutete Liebesgeschichte, zu flehenden Händen auf dem Klavier, zu einem Shakespeare-Zitat auf dem Sammelplatz, das schon Lubitsch und Brooks zitierten? In Cannes ehrte man ihn mit der Goldenen Palme - für seine Rückkehr zum Ernstzunehmenden und seine Ehrlichkeit, auch die Angst vor der emotionalen Monströsität dieses Sujets nicht verschwiegen zu haben.

[ Sylvia Görke ]