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Der Poet

Über den Gullis von Wien

Paulas Bruder, ein junger aufstrebender Fotograf, wird von einem Profikiller erschossen, als er diesem bei Ausübung seines Berufes über den Weg läuft. Kurz darauf bleibt die hinterbliebene Paula mit ihrem Stöckelschuh auf der Straße vor ihrem Geschäft im Gulli hängen, und ein Bus fährt volle Kanne auf sie zu.

Das gibt dem geheimnisvollen Tschetschenien-Veteran Major Sacharow die Gelegenheit, sich per lebensrettendem Hechtsprung als Herzbube von Paula zu profilieren. Bald schon rezitiert er Puschkin für sie. Paula und der Poeten-Major - das paßt gut, denn auch Paulas Herz schlägt für die Poesie. Ihr Buchladen liegt auf dem Eck einer malerischen Kreuzung in Wien. Abends macht dort Paula Kerzen an und liest freundlichen, klugen, gutangezogenen Menschen ihre Gedichte vor. Gleich hinterm Laden liegt ihre schöne Wohnung mit dem Himmelbett, in dem der Major sie fortan in seine starken Arme nimmt, und sie seine kriegswunde Seele rettet. Doch das Leben ist grausam und kein Gedicht, jedenfalls kein schönes. Gleich neben der Idylle klaffen immer auch die Abgründe, z.B. der Gulli, in dem sich Paulas Schuh verfängt, der lauert ja auch gleich vor Paulas schönem Laden. Und der Major im Himmelbett ist der Killer von Paulas Bruder.

Paul Hill, laut Presseheft "ein junger Regisseur mit großen Gefühlen", hat eine verklemmte Lifestyle-Thriller-Schmonzette mit Nutella, Mercedes, Sonnenblumen und Berghütten-Romantik gedreht. Es glänzt alles so schön in diesem Film und ist so übersichtlich ausgebreitet wie ein Quadratmeter Kunstrasen mit Klarlack. Dieser blöde Gulli! Warum hat der nur Paulas Absatz verschluckt? Warum nicht Paula komplett mit ihrem knarzenden Gutmenschentum und ihren bescheuerten Gedichten? Bei der Gelegenheit hätte der Major ihr auch gleich in die Gülle hinterher hechten können. Paula und Major hätten sich dann in der Kanalisation von Wien recht liebhaben und in einem Flutbecken Untergrundlesungen zum jeweils aktuellen Krieg veranstalten können. Mutierte Riesenkrokodile, der Dritte Mann, Emir Kusturicas UNDERGROUND-Partisanen, Edgar Wallace und die Ninja-Power-Turtles hätten dazu klatschen oder selbst ein Gedicht aufsagen können. Oder irgendetwas anderes weniger Abstruses als dieser Film wäre passiert.

[ Christian Seichter ]