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Der tschechische Traum

Vom vereitelten Einkaufsglück

Über 4000 Menschen folgten dem Ruf auf die große grüne Wiese vor den Toren Prags, zur Eröffnung des neuen Multisupermarktes "Cesky Sen", tschechischer Traum. Was sie fanden, war lediglich die Fassade eines Supermarktes. Von Waren im Überfluß und Billigpreisen keine Spur. Das war 2004, nicht zufällig kurz vor dem Volksentscheid über den Beitritt zur EU. Der folgende Skandal und die Heftigkeit der politischen Debatte, in der die leere Wiese kurzerhand zum Synonym für die EU wurde, dürfte jedoch auch die beiden Initiatoren der Kampagne überrascht haben, die ihren großen Werbefeldzug zum Ärger der gefoppten Einkäufer mit Steuergeldern finanziert hatten.

Da die beiden Studenten der Filmhochschule waren, haben sie ihr Projekt von Anfang an dokumentarisch begleitet und daraus ihren Abschlußfilm gemacht. Es ist ein Film über die Macht der Werbung und eine vergnügliche Scharlatanerie. Eine falsche Image-Kampagne wird mit echten Profis, mit Werbeagenturen und Marketingexperten aufgezogen. Alle Beteiligten sind wissentlich dabei, aus Referenzgründen, obwohl es zum Teil gegen ihre Berufsethik verstößt.

Das führt einmal auch zu einer heftigen Auseinandersetzung mit den Filmemachern anläßlich der Frage, wer hier eigentlich lügt: die Werbung oder der Film. Einerseits hält sich die Werbekampagne mit den Slogans "Kommt nicht" und "Kauft nichts" geschickt an die Wahrheit, andererseits erreicht sie doch die Kunden. Auch die dreiste Fernsehwerbung, der geradezu hirnerweichende Konzern-Song und die im Namen implizierte Behauptung, daß vom tschechischen Freiheitstraum nur noch die Freude am billigen Konsum geblieben sei, werden von den befragten Kunden ohne Ironieverdacht hingenommen.

Man sollte allerdings vorsichtig sein, ein tschechisches Gesellschaftsporträt daraus zu machen. Zwar stimmt es mehr als nachdenklich, wie vehement die Tschechen im Film die Eröffnung eines Supermarktes als nationale Angelegenheit betrachten. Das Lachen bleibt einem da oft im Halse stecken. Ob es wirklich repräsentativ ist, ist jedoch die Frage.

Daß der Filmspaß auf Kosten der Kunden geht, ist auch klar. Allerdings sind die beiden Studenten so mutig, als Manager auch ihre Köpfe hinzuhalten, und die Diskussion, die sie damit entfacht haben, rechtfertigt ihr Projekt noch einmal nachträglich.

Originaltitel: CESKY SEN

Tschechien 2004, 83 min
Verleih: Realfiction

Genre: Komödie, Satire

Regie: Vit Klusak, Filip Remunda

Kinostart: 14.09.06

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...