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Die Anwälte

Über linke Ideale und was daraus wurde

Das Jahr 2008 stand ganz im Zeichen des vierzigjährigen Jubiläums der 68er Revolte. Die in die Jahre gekommenen Protestler inszenierten sich mit gehörigem TamTam – nicht zuletzt in den Medien. Zum Glück kommt Birgit Schulz’ Film DIE AWÄLTE erst jetzt ins Kino. 2008 wäre er im allgemeinen Jubiläums-Überdruß bestimmt untergegangen. Und das, obwohl Schulz sich eines Themas angenommen hat, das schon lange in der Luft lag: die erstaunlichen und teilweise sehr gegensätzlichen Richtungen, die die Lebenswege der Protagonisten der antiautoritären Bewegung seit 1968 genommen haben. Im Zentrum des Films stehen Otto Schily, Hans-Christian Ströbele und Horst Mahler.

Anfang der 70er Jahre waren sie alle drei Anwälte der außerparlamentarischen Opposition und stritten vehement gegen die Bundesrepublik Deutschland und für eine andere Gesellschaft. Schon damals waren sie sich uneins über den richtigen Weg dorthin. Heute ist der eine Bundesinnenminister a.D., der andere das linke Gewissen der Grünen und der dritte eine zentrale Figur der rechten Szene, und alle drei gehen sich aus dem Weg.

Auch Birgit Schulz konnte die drei alten Herren nicht überzeugen, gemeinsam im Film aufzutreten. Doch sie machte aus der Not eine Tugend und sprach einzeln mit ihnen. Und letztlich fährt sie mit den Einzelgesprächen besser als mit einer Konfrontationstaktik. In der intimen Interviewsituation ließen sich die drei zu spannenderen Aussagen hinreißen, als man das bei einem gemeinsamen Gespräch hätte erwarten können. Und die Parallelmontage ihrer Antworten mit altem Filmmaterial reicht vollkommen aus, die teilweise dramatischen Brüche in den Biographien aufzuzeigen – obwohl vor allem Mahler und Schily mit ihrer politikgestählten Eloquenz schwer daran arbeiten, diese Brüche als logische Konsequenz erscheinen zu lassen.

Birgit Schulz gelingt es, hinter die Fassade zu schauen und mit seiner zurückhaltenden, aber geschickten Dramaturgie erzählt der Film viel mehr als nur die Lebensläufe dreier Juristen – ganz nebenbei ist Schulz eine Geschichte der Bundesrepublik mit all ihren seltsamen Wendungen und Widersprüchen gelungen.

D 2008, 92 min
Verleih: Real Fiction

Genre: Dokumentation

Darsteller: Otto Schily, Hans Christian Ströbele, Horst Mahler

Stab:
Regie: Birgit Schulz
Drehbuch: Birgit Schulz

Kinostart: 14.01.10

[ Luc-Carolin Ziemann ] Carolin hat ein großes Faible für Dokumentarfilme, liebt aber auch gut gespielte, untergründige Independents und ins Surreale tendierende Geschichten, Kurzfilme und intensive Kammerspiele. Schwer haben es historische Kostümschinken, Actionfilme, Thriller und Liebeskomödien ... aber einen Versuch ist ihr (fast) jeder Film wert.