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Die Gefangene

Kühl inszeniertes Drama

Er folgt ihr. Er fährt ihr nach, geht die Wege, die sie geht, hält Abstand, um unbemerkt zu bleiben. Er beobachtet sie, fängt sie ein mit seinem Blick, umfängt sie. Chantal Akerman führt die Zuschauer mühelos auf eine falsche Fährte. Ein erotisches Spiel läßt sie uns vermuten - anfänglich - in der Art, wie der Mann einer Frau und ihren Bewegungen folgt. Aber es ist kein Spiel.

Ariane und Simon leben zusammen in einer Pariser Wohnung, und Simon folgt der Geliebten nicht. Er verfolgt sie. Minutiös überwacht er ihren Tagesablauf und bedrängt sie mit Fragen. Ariane gelingt es trotzdem sich seiner Kontrolle zu entziehen, was in einer physischen und psychischen Verweigerung mündet und dramatisch endet. Soweit die Geschichte.

Chantal Akerman orientiert sich hier an der gleichnamigen Erzählung Marcel Prousts und arbeitet moderne Bezüge ein. Wie ihre anderen Filme verweist auch DIE GEFANGENE auf Themen wie Einsamkeit und Verlorenheit in der Auseinandersetzung mit Liebe und Sexualität. Kühl und schnörkellos inszeniert Akerman die Beziehung der beiden Protagonisten und das mit einer Konsequenz, die mutmaßen läßt, daß sie dabei den Zuschauer vergessen hat. Schwer, geradezu unmöglich ist es, sich auf die Figuren einzulassen, ihnen zu folgen. In dem Maße, wie sich die Distanz der Agierenden zueinander vergrößert, vergrößert sich auch die Distanz des Zuschauers zum Geschehen. Die Figuren bleiben fremd, auch wenn man ihnen zuschaut: Ariane, wie sie sich an einem Doppelleben versucht, um sich Freiräume zu bewahren und dabei scheinbar emotionslos ihre Rolle als Gefährtin und Gefangene erträgt. Und Simon, den seine Gier nach totaler Verschmelzung mit der Geliebten treibt und der gewaltsam versucht, in ihre Welt einzubrechen.

Die Tragik der zwei Menschen ist offensichtlich. Die 108 Filmminuten aber sind, trotz der vielen Experimente mit Kameraperspektiven, im Nachklang nur eine Momentaufnahme. Eine Aufnahme, die zwei Gefangene zeigt.

Originaltitel: LA CAPTIVE

F/Belgien 2000, 108 min
Verleih: Alamode

Genre: Drama, Liebe

Darsteller: Stanislas Merhar, Sylvie Testud, Olivia Bonamy

Regie: Chantal Akerman

Kinostart: 11.07.02

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.