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Die getäuschte Frau

Bestandsaufnahme eines Trauerlochs

Sie schaut der Gefahr direkt in die Augen. Am Wegesrand sitzt eine getigerte Wildkatze. Nina steht unter Schock. Fliehen kann sie nicht, auch, weil sie soeben ihr Auto in den Fluß manövriert hat. Der Anfang des Films ist eindrucksvoll und verstörend zugleich. Denn wie Nina der Wildkatze entkommt, wird nicht erzählt, genauso, wie man sonst nicht viel erfährt über diese Frau, die gerade in die Krise ihres Lebens stürzte.

Ninas Mann ist bei einem Unfall ums Leben gekommen. Als ob der Verlust nicht schon schwer genug wäre, stellt sich heraus, daß die Liebe ihres Lebens ein Doppelleben führte. Es gibt eine andere Frau, andere Kinder. Für Nina bricht eine Welt zusammen. Der Alltag liegt plötzlich brach, sie läßt sich gehen, innerlich und äußerlich, und macht sich auf eine Reise ins Ungewisse.

DIE GETÄUSCHTE FRAU ist immer ganz nah dran an dieser Frau und ihrer Trauer. Nachts schleicht sie sich an Autobahnauffahrten entlang, stiehlt sich auf Bühnen verrauchter Clubs, lehnt sich an die Schultern fremder Männer. Es ist die Sichtbarmachung seelischer Not. Die Kamera klebt quasi an den Emotionen dieser Frau. Nach rund 60 Minuten hat man verstanden, was das Betrogenwerden mit einem Menschen macht. Daß der Selbstwert ins Bodenlose rutscht, daß das Leben sinnlos erscheint, ohne Ziel. Doch ihre Hilflosigkeit ist so grenzenlos, daß sich irgendwann eine Distanz zu Nina aufbaut. Man steht vor dem gleichen Sumpf wie sie und will nicht weiter mit reingezogen werden: Das kostet enorm viel Kraft.

Nina hat sich geirrt – in ihrem Mann, in sich selbst, in ihrem ganzen Leben. Aber was soll sie nun damit anfangen? Regisseurin Sacha Polak will keine Antworten geben. Dramaturgisch und ästhetisch kunstvoll verpackt, läßt sie Nina immer weiter in einen Strudel aus Selbstmitleid und Hoffnungslosigkeit hineinrutschen. Auch eröffnet sie keine Reflexionsebene darüber, warum alles so kommen konnte und vor allem, was das mit dem Leben machen könnte.

Dadurch verharrt DIE GETÄUSCHTE FRAU auf dem Stand einer zähen und schweren Bestandsaufnahme eines Trauerlochs, in das man fällt, wenn man einen geliebten Menschen verliert. Das ist tragisch und so detailreich bebildert, daß der Blick aufs große Ganze abhanden kommt – so wie auch Nina ihn längst verloren hat.

Originaltitel: ZURICH

D/NL 2015, 89 min
Verleih: Zorro

Genre: Drama

Darsteller: Wende Snijders, Sascha Alexander Gersak, Barry Atsma

Regie: Sacha Polak

Kinostart: 30.07.15

[ Claudia Euen ]