20 Bewertungen

Die Gräfin

Eine moderne Frau – zwischen Eloquenz und Blutsaugerei

Wahrlich, ein gottloses Kind, diese kleine Erzebet. Es ist durchaus nicht nur Naivität, die sie lenkt, als sie ein lebendiges Kücken in einem Topf begräbt, um zu schauen, ob daraus etwas Größeres erwachse, einem Samenkorn gleich. Zu groß ist die Faszination, als daß kindliche Unschuld zur Erklärung genüge, dieser Akt taugt quasi als Vorbote eines Hungers nach zügelloser Macht und einer Fähigkeit zum Rausch am Blute. Den letzten Schliff erfährt ihr bereits jung verderbter Charakter, als sie gezwungen wurde, der Köpfung eines Bauernjungen beizuwohnen. An dessen Ende hatte die junge Erzebet keinesfalls geringen Anteil, die beiden waren in Lust und Liebe zugetan, ein Kind entstand. Da man ihr das Baby wegnahm, muß dies ein weiterer Stein auf dem Weg zu tiefer innerer Kälte gewesen sein.

Es gibt wohl einige Legenden, die sich um die spätere Gräfin Erzebet Bathory ranken – und die allesamt kein gutes Bild auf sie werfen. Zu dominant, zu machtversessen und später dann zu blutrünstig – was sie in die Nähe eines noch berühmteren Adligen aus Transsilvanien rückt. Doch Bathory war auch ihrer Zeit voraus, eine moderne Frau, wenn man so will, denn sie hielt die Fäden in der Hand, bei ihr klopften mächtige Männer an, um sich Wohlgefallen, Geld und Erlaubnis einzuholen, und sie pfiff auf Etikette: Für einen derben Scherz wurde auch schon mal der Bischof diskreditiert. Ein Dorn im Auge des öffentlichen Anstands aber war, daß Erzebet, nicht mehr ganz jung an Jahren, sich verliebte – in einen weitaus jüngeren Grafen Istvan Thurzo. Diese Verbindung wird von dessen eifersüchtigem, von Erzebet verstoßenen Vater unterbunden und damit zugleich der Grundstein für einen perfiden Aderlaß geboten. Denn die Jahre vergehen, Erzebet verzehrt sich in Liebe, böse Gerüchte werden gestreut, die Gräfin wird älter, und ein Zufall will es, daß Jungfrauenblut in ihr blasses, schon etwas faltiges Gesicht spritzt – und es in neuer Frische erblühen läßt. Über 600 Jungfrauen werden büßen, die Wälder um ihr Schloß fangen an zu stinken, die vielen Kadaver ...

DIE GRÄFIN erzählt von einer beeindruckenden Frau in der Klemme, eine, die verbittert erkennen muß, daß die Zeit keinen Respekt vor der Schönheit kennt. Erzebet wird im Liebes- und Blutrausch zur Getriebenen, aus der einst auch rhetorisch so schlagfertigen und eloquenten Adligen wird ein Zombie, ein nimmersatter Vampir, der schale Worte auf traurige Fragen findet. Als sie von einer Magd, an deren Blut sie sich gerade bedient, gefragt wird, wann all das denn aufhöre, sagt sie – nicht ohne Mütterlichkeit in der Stimme: „Wenn du leer bist, mein Kind.“

Delpy spielt diesen Blutsauger mit einer faszinierenden kühlen Eleganz, anfangs nonchalant, dann besessen. Ihr gelingt der Wechsel sehr gut, als aus den anfänglichen Freuden über kleinere Verjüngungserfolge die nicht zu stillende Sucht beginnt: Blutkäfige, alle verfügbaren Jungfrauen des Landes und von außerhalb – ihre Zerstörungswut, auch sich selbst gegenüber, kennt keine Grenzen mehr. Zu Beginn gibt es von Daniel Brühl, der den Erzähler und den jungen Grafen Thurzo gibt, noch etwas zu viel Text auf die schönen blau-grauen Bilder, dann übernimmt aber wieder die Filmemacherin Delpy und erzählt eine rundum gelungene Geschichte über das Krebsgeschwür Liebeswahn, aus dem – wohl immer aktuell – Metastasen wie die Sehnsucht nach ewiger Jugend und Schönheit wuchern. Konzentriert, ruhig, mit pointierten Dialogen und – bemerkenswert – wohldosiert in den Blutszenen.

Originaltitel: THE COUNTESS

D/F 2008, 98 min
FSK 12
Verleih: X Verleih

Genre: Drama, Historie, Thriller

Darsteller: Julie Delpy, Daniel Brühl, William Hurt, Sebastian Blomberg, Frederick Lau, André Hennicke, Nikolai Kinski

Regie: Julie Delpy

Kinostart: 25.06.09

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.