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Die Liebhaberin

Nacktheit als Utopie

Wenn ein österreichischer Nachwuchsregisseur einen Low-Budget-Film in Argentinien dreht, der mit Mitteln aus Südkorea kofinanziert wurde, ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß dabei ein höchst eigentümliches Werk entsteht. Der Salzburger Lukas Valentin Rinner, Jahrgang 1985, ging vor rund zehn Jahren nach Buenos Aires, um dort Film zu studieren. Offenbar setzte der Kontakt zur lebendigen argentinischen Filmszene bei gleichzeitiger Ferne zu europäischen Förderinstitutionen viel kreatives Potential frei. Sein Spielfilm DIE LIEBHABERIN ist eine schräge, bitterböse Groteske, die den Zuschauern etliche Irritationen zumutet.

In einem bis zur Zähigkeit gedehnten Tempo, minimalistischen Dialogen und streng komponierten Bildern wird die Geschichte des Hausmädchens Belen erzählt, das einen Job bei einer reichen Familie in einer Gated Community im Umland von Buenos Aires annimmt. Die 32jährige geht stets etwas krumm und wirkt in ihrer überdies unvorteilhaften Kleidung gehemmt und schüchtern. Als die elegante Hausherrin sie einmal mitten in der Nacht weckt, weil sie nicht schlafen kann und Gesellschaft haben möchte, läßt Belen widerwillig diesen Übergriff über sich ergehen. Vom stets tennisspielenden Sohn des Hauses hingegen wird die Haushälterin behandelt, als sei sie ein Möbelstück. Als Belen eines Tages das weitläufige Areal mit seinen leeren Straßen und leblosen Grünflächen verläßt, stößt sie zufällig hinter einem offenstehenden Eisentor auf ein Nudistencamp. Zunächst flieht sie panikartig beim Anblick der Nackten, doch diese so eigentümliche wie faszinierende Gegenwelt läßt sie nicht mehr los. Irgendwann legt auch die junge Frau Kleidung und später die Verklemmtheit ab.

In seinem zweiten Langfilm belebt Rinner die alte Utopie von der Befreiung durch Nacktheit neu. Soziale Unterschiede verlieren in der abgeschlossenen Welt der Nudisten an Bedeutung. In diesem wuchernden, gleichzeitig etwas ramponierten Garten Eden vertreiben sich Männer und Frauen die Zeit mit Lesen, Baden, Gärtnern und freier Liebe. Ohne Scham voreinander leben sie im Einklang mit ihren natürlichen Körpern. In Zeiten der medialen Allgegenwart von vermeintlichen „Traumkörpern“ wirken die nonkonformen, quasi „unbearbeiteten“ Körper der Protagonisten seltsam radikal. Doch weil es nun einmal kein Paradies auf Erden geben kann, kommt es zwangsläufig zur Kollision zwischen den beiden gegensätzlichen Welten der Reichen und der Nackten. Sie fällt so konsequent-radikal aus wie der ganze Film.

Originaltitel: LOS DECENTES

Österreich/Südkorea/Argentinien 2016, 100 min
Verleih: Grandfilm

Genre: Drama

Darsteller: Iride Mockert, Martin Shanly, Andrea Strenitz, Mariano Sayavedra

Regie: Lukas Valentin Rinner

Kinostart: 09.11.17

[ Dörthe Gromes ]