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Die Martins-Passion

Armdrücken mit dem Schicksal

Er habe mehr Unfälle mit seinem Arm gehabt, als Bach Fugen komponierte, erzählt João Carlos Martins. Dabei lächelt er, weil das Schicksal dem für seine Bach-Interpretationen gefeierten Pianisten immer wieder mit aberwitziger Maßlosigkeit auf die Finger schlug.

1940 in São Paulo geboren, 1960 Debüt in den USA, weltweiter Ruhm. 1966, beim Fußballspielen werden drei Finger der rechten Hand irreparabel verletzt. Arbeit als Boxpromoter und Banker, Rückkehr ans Klavier, Versuche in Geschäftsleben und Politik. Wieder Studioaufnahmen, nach einem Überfall bleibt der rechte Arm gelähmt. Auftritt in der Carnegie Hall unter unerträglichen Schmerzen. 2000 operative Durchtrennung der Nerven der rechten Hand. Weiter mit links, da capo al fine.

Vor zwei Jahren erfuhr Irene Langemann aus einem Zeitungsartikel von Martins’ unglaublicher Lebensgeschichte und zeichnete sie in einer Dokumentation nach, die sich ganz auf die Faszination für diesen ergrauten Charakterkopf mit erstaunlichen Nehmerqualitäten verlassen kann. Es schien sogar, als könne seine Biographin den Virtuosen auf der Berg- und Talfahrt ganz weit oben erwischen. Wieder einmal stand ein Comeback bevor - ein Auftritt mit dem Royal Philharmonic Orchestra. Doch nun quittierte auch die linke Hand den Dienst. Langemann wurde zu Martins’ Begleiterin bei Operationen und schmerzhaften Therapie-Maßnahmen. Ihr Film über eine Karriere der Extreme, angefüllt mit alten Konzertaufnahmen, sollte so zugleich Augenzeugenbericht eines ärztlichen Rettungsversuches werden.

Die linke Hand spielt Luftklavier auf Martins’ nacktem Brustkorb - ausgefranste Diagramme auf Meßgeräten, zusammen gebissene Zähne, bildhaft für ein Leben. Fast verspielt gestaltet, manchmal dramatisch gesteigert durch Kontrast- und Farbverzerrungen, geben solche Szenen dem ansonsten etwas sprunghaften Porträt emotionales Rückgrat. Bedeutend sind sie aber vor allem, weil Martins hier zu verletzlich ist, um die sonst vorherrschende freundliche Distanz zur Regisseurin aufrecht zu erhalten. Wo Langemann konventioneller arbeitet, Martins beim Kopfballspiel mit Pelé und einem Besuch bei Dave Brubeck zeigt, fällt ihm das leichter.

Als vom späten ersten Sex die Rede ist, wird der Tonfall sogar heiter: Martins schmunzelt vor dem Bordell in Cartagena. Danach hatte er die Damen ins Konzert eingeladen.

D 2003, 96 min
Verleih: Zephir

Genre: Dokumentation, Biographie

Darsteller: João Carlos Martins, Pelé, Dave Brubeck

Stab:
Regie: Irene Langemann
Drehbuch: Irene Langemann

Kinostart: 07.10.04

[ Sylvia Görke ]