Originaltitel: LES INTRANQUILLES

Belgien/F 2021, 114 min
FSK 12
Verleih: Eksystent

Genre: Drama

Darsteller: Leïla Bekhti, Damien Bonnard, Gabriel Merz Chammah

Regie: Joachim Lafosse

Kinostart: 14.07.22

1 Bewertung

Die Ruhelosen

Trio Kurzschluß

Der Belgier Joachim Lafosse erzählt gern von zwischenmenschlichen Dramen, die man sehr gut kennt oder möglichst nie erleben möchte. Schon nach DIE ÖKONOMIE DER LIEBE wollte man sich das mit der vielleicht ins Auge gefaßten Scheidung noch einmal überlegen. Jetzt in DIE RUHELOSEN werden Fragen an sich selbst kaum ausbleiben können, die wissen wollen, wie weit man mit seinen Kräften gehen kann und – das muß erlaubt sein – gehen will, wenn ein naher Mensch in Zustände trudelt, die er nicht zu steuern vermag. Wenn ihn eine Störung packt, die bipolar genannt wird. Wenn so viel Liebe da ist, daß sie das Leben in guten Zeiten trägt und in schlechten genügend Speicher hat. Doch wie das eben so ist mit den Kapazitäten, irgendwann laufen Akkus leer oder aus. Leïla hätte gern darauf verzichtet, ein Lied davon zu singen.

„Du nimmst das Boot, ich schwimme zurück!“ Für einen 8jährigen ist das Führen eines Motorbootes ein ziemlich gewagtes Unterfangen. Doch Amine wird mit weiteren Absonderlichkeiten seines Vaters Damien konfrontiert. Würde er nicht dessen tiefe Zuneigung spüren, würde es schon eher kippen, doch hinter jedem Himmelhochjauchzen steckt der nächste Absturz. Damien repariert nachts um 2 das Mofa, springt wie ein Duracell-Hase in der Küche zwischen dem Geschirr umher, malt Bilder, als müßten heute noch zehn davon fertig werden. Damien ist in Schüben schlaflos. Er vermag es nicht, sich Ruhe zu gönnen, höchstens erschöpfte Momente.

Auch Leïla hat keinen Grund, an der aufrichtigen Liebe Damiens zu zweifeln, doch als Ehefrau, Mutter und freie Möbelrestauratorin kann und will sie nicht auch noch die Krankenschwester ihres Mannes sein, der mehr braucht als diese Schwester, nämlich Ärzte und Tabletten. Nicht nur hier zeigen sich die exzellente Regie und das präzise Drehbuch Lafosses. Ein Blick in den Flur der Psychiatrie genügt, weil er seine hervorragend gespielten drei Hauptcharaktere nicht verlassen will, nach langen Blenden auf Damien und ergreifenden Momenten mit Amine vor allem auf Leïla zielt, ihren Kampf um die Familie und sich als Individuum.

In DIE RUHELOSEN ist nicht die Diagnose wichtig, sondern das, was diese Diagnose mit den Menschen umeinander macht. Suggestive Entfremdung ist eingepreist, Isolation setzt ein. Die kleinste Zelle des sozialen Gefüges wird gesprengt. Guter Hoffnung zu sein, wird zur Herausforderung.

[ Andreas Körner ]