Noch keine Bewertung

Gestrandet

Ein Gesicht gegeben

Kein anderes Thema beschäftigt global wie die Flüchtlingswelle: Aus der Frage ward eine Krise, in Sachsen-Anhalt schaffte es eine sich lautstark als solche ausrufende Volks- und tatsächlich mehrheitlich Protestpartei, jeden vierten Wähler zu gewinnen, obwohl sie außer „Flüchtlinge raus!“-Geschrei kaum bis keine Inhalte bietet, demnächst fungiert das Thema als Sujet einer Oper. Egal dabei, ob die Gesinnung pro oder kontra Flüchtlinge ausschlägt, auf beiden Seiten stellt Verallgemeinerung ein Hauptproblem dar. Manche = alle, wie herrlich einfach. Und erschütternd dämlich.

Lisei Caspers wiederum ist eine kluge Frau, hat den Konflikt früh erkannt und sich weit vor dem Ausufern der Situation aufgemacht, um „die Flüchtlinge“ aus der Anonymität zu reißen, ein Gesicht zu betrachten. Oder, exakt gesagt, gleich fünf, konkret die von Aman, Mohammed, Ali, Hassan und Osman. Das Quintett floh aus Eritrea, landete im 1500-Seelen-Dörfchen Strackholt. Keine pulsierende Metropole, mancher Bewohner guckt schräg, weil er noch keinen dunkelhäutigen Menschen gesehen hat, aber allgemeine Entspannung folgt, bald werden die Neuankömmlinge gar gegrüßt.

Ein Anfang, den Ex-Schuldirektor Helmut nutzt, Aman & Co. das deutsche Leben und dessen Sprache beizubringen – am Kondomautomaten, dem Ortseingangsschild, im Hallenbad. Höchst motiviert schuften die Männer als 1-Euro-Jobber, Unterstützung bei amtlichen Fragen liefert Lokaljournalistin Christiane, eine mütterliche Dame mit spannenden Gedankengängen wie: „Der Mensch wird niemandem fehlen – die Dinosaurier fehlen auch keinem.“ Läuft erst mal, aber das Asylverfahren kriecht ewig ohne Fortschritt dahin, es kommt zu Spannungen zwischen sämtlichen Beteiligten. Kippt das zunehmend fragile Gleichgewicht?

Glücklicherweise schwenkt Caspers da nirgends den belehrenden Zeigefinger, wie bei mancher „Dafür“-Bewegung zu beobachten. Ebenso wenig unternimmt sie den völlig sinnlosen Versuch, eingefleischte Pegida-Legida-Sonstwiegida-Straßenlatscher durch sachliche Argumente aus deren heimeliger Unruhe zu reißen. Selbst verbale Schilderungen furchtbarer Greueltaten finden ruhig statt, Beurteilungen fehlen genauso wie das Vertreten einer vermeintlich richtigen Meinung. Nein, Caspers Ansatz besteht darin, für Menschlichkeit zu werben, Auseinandersetzung einzufordern, Dialogfähigkeit zu stärken, Kommunikationsbarrieren hin oder her. Siehe oben: kluge Frau.

D 2016, 80 min
FSK 0
Verleih: Pandora

Genre: Dokumentation, Schicksal, Polit

Stab:
Regie: Lisei Caspers
Drehbuch: Lisei Caspers

Kinostart: 21.04.16

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...