Originaltitel: HAUTE COUTURE

F 2021, 101 min
FSK 12
Verleih: Happy Entertainment

Genre: Drama

Darsteller: Nathalie Baye, Lyna Khoudri, Pascale Arbillot, Claude Perron, Soumaye Bocoum

Regie: Sylvie Ohayon

Kinostart: 21.04.22

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Haute Couture

Das Kreuz mit Müttern, Töchtern und Musselin

Ein normaler Tag beginnt: Bevor Esther in den Feldwebelmodus schaltet, seltene Gefühlsbekundungen lieber bellt denn kommuniziert und sarkastische Witzattacken startet, verabschiedet sie sich liebevoll. Von ihren Rosen. Blüht und scheint! So kann bzw. muß man’s wohl tun, wenn von diesem bestimmten oder bloß irgendeinem Mann nirgends die Rede ist, die einzige Tochter sich außerdem in Grabesschweigen hüllt.

Vollkommen erwartungsgemäß nagelt die große Nathalie Baye jenen eigentlich zu oft gesehenen Leinwandcharakter nur auf nötige Eckpunkte fest, füllt die leere Mitte jedoch ganz individuell und wahrlich einzigartig, beispielsweise mit einem Ausbruch zwischen königinnenbeleidigter Empörung und todesnahem Ekel, als sich Jade erdreistet, ihr Tofu anzudrehen. Tofu!

Besagte Jade hatte kürzlich Esther beraubt und bekam dafür zum quasi Zweite-Wange-hinhalten-Dank eine Praktikantenstelle, darf bei der demnächst in Rente gezwungenen Direktrice (eine Dior-Kollektion noch, dann gähnender Pensionsabgrund) das Schneiderinnenhandwerk erlernen. Spontanannäherung, ick hör Dir trapsen? Sicher, Originalität zählt kaum zu den Stärken von 101 Minuten, in denen wir ständig auf allerlei Bewährtes treffen, darunter religiöse Vorurteile, problembehaftete Kindheiten, zum Ausschalten des „Ghetto Girls“ unfaire Tiefschläge anwendende Kolleginnen ebenso wie blonde Engel aus derselben Hood, Depressionen und Überarbeitung, eine empathische Transsexuelle, hauptsächlich angetreten, Esther ermutigende Weisheiten zu offenbaren.

Erschöpftes Abhaken wäre allerdings höchst fatal. Weil Bayes Erfahrung erneut den korrekten Mischton aus lebensmüder Traurigkeit und Selbstmitleid trifft. Dazu jede Figur persönlichen Spielraum erhält, niemand mittendrin zurückbleibt, primär Jade nie zur reinweiß-konturlosen Projektionsfläche für ihre dominante Chefin/Freundin/Ersatzmutter dient, eigene Wege geht, gern stur geradeaus, und stehen dort Wände, kommt der antrainierte Dickschädel zum Einsatz. Geschickt vernäht, kitschreduziert und schick inszeniert ergibt all das ein wunderbares Ganzes.

Man hört’s lediglich einmal kurz auf der Mailbox, aber vielleicht genau deshalb fließt schließlich ein Gedanke über den Abspann hinaus: Sollte es unbedeutend, reiner Zufall sein, daß Esthers Tochter den Vornamen der Regisseurin trägt?

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...