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Heart Of A Dog

Man wollt’, man wär’ ihr Hund

Der zivilisierte Mensch, so scheint es, hat das übermächtige Bedürfnis, unentwegt zu regeln, zu bündeln, in Schubladen abzulegen und zu kategorisieren. Das Kino macht da keine Ausnahme, betrachtet man den Drang, alle Leinwandwerke fein säuberlich nach Genres aufzuteilen, wobei sich beispielsweise die Komödie noch in Tragikomödie, Culture-Clash-Komödie, schwarze Komödie, Teeniekomödie oder Romantikkomödie spalten läßt, indes keinesfalls mit Persiflage respektive Satire verwechselt werden darf. Aber manchmal geschieht’s, da kommt ein Film vorbei und entzieht sich jeglicher Einordnung. Meist bestraft dies entschlossener Entzug der verängstigten Zuschauergunst, und ebenso oft wäre der Besuch eine Bereicherung gewesen. Wie hier.

Laurie Anderson, amerikanische Musikerin und Performance-Künstlerin, leitet HEART OF A DOG ein, indem sie über ihren Traumkörper referiert – jenen Körper, der zur Fortbewegung durch ihre Träume dient. Selbiger beherbergt Lolabelle, die Anderson eben zur Welt bringt. Doch Lolabelle ist kein Baby, sondern Andersons Hund, ein Rat Terrier, als solcher rein optisch eher eine zu bewältigende Herausforderung, was Frauchen Laurie nicht stört, vielmehr nimmt das Tier eine Kindesrolle ein. Folgen jetzt etwa wackelige Handykunstwerke auf dem Niveau lustiger Internet-Katzenvideos?

Mitnichten. Zwar schenkt Anderson dem angebeteten Vierbeiner immer wieder zentrale Aufmerksamkeit, amüsiert auch durch Lolabelles Klavierspiel oder sinniert darüber, wie unterschiedlich Schäferhund, Pudel und Rat Terrier Befehle annehmen. Doch dienen derartige Gedanken stets dazu, sie auf humane Belange umzuleiten, weit tiefere Themen auszuloten. Während meditative (indes nie dudelige!) Musik traumhafte Landschaftsaufnahmen, grobkörniges Archivmaterial, skizzenhafte Animationen oder kurze Textflashs untermalt, fließen Andersons Gedanken, sie springt zwischen den verschiedensten Komplexen umher. Da geht es um den Tod der Mutter, das Leben nach 9/11, verehrte Philosophen, allgegenwärtige Überwachung, die Wichtigkeit „To Feel Sad Without Being Sad“ ...

Was anfangs ungeordnet klingen mag, chaotisch wirkt, entfaltet schnell seinen Status des sorgsam komponierten Essays bezüglich menschlicher Existenz, birgt eine aufregende Erfahrung ohne überflüssige Bilder, bloß die rhetorische Lücke füllende Sätze. Echte Kostbarkeiten inklusive: „The Purpose Of Death Is The Release Of Love.“

Originaltitel: HEART OF A DOG

USA 2015, 75 min
FSK 0
Verleih: Arsenal

Genre: Experimentalfilm, Poesie, Dokumentation

Stab:
Regie: Laurie Anderson
Drehbuch: Laurie Anderson
Musik: Laurie Anderson

Kinostart: 24.03.16

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...