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Hedis Hochzeit

Tunesisches Erwachen

Der sogenannte Arabische Frühling weckte vor einigen Jahren die Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderungen in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens. Seinen Anfang nahm er 2010 in Tunesien nach der Selbstverbrennung eines jungen Mannes. Der langjährige Machthaber Zine el-Abidine Ben Ali mußte abdanken. Doch nach der Aufbruchstimmung breitete sich rasch Ernüchterung aus. Derzeit machen Wirtschaftsflaute und der durch Terroranschläge stark zurückgegangene Tourismus dem Land schwer zu schaffen.

In diesem gesellschaftlichen Klima siedelt Mohamed Ben Attia sein Debüt HEDIS HOCHZEIT an, das auf der Berlinale den Preis für den besten Erstlingsfilm sowie den Silbernen Bären für den Hauptdarsteller gewann. Es ist eine – zuweilen überdeutliche – Parabel auf die fatale Situation der tunesischen Jugend, die es entweder nach Europa zieht, oder die im Land verharrt und sich den bleiernen Umständen ergibt.

Der 25jährige Hedi arbeitet als Vertreter für Peugeot. Ein apathischer, käsiger Schlaks mit beginnender Glatze, der kaum mal ein Wort verliert. Sein einziger Fluchtpunkt sind comicartige Zeichnungen, für die seine Familie kein Verständnis aufbringt. Hedis Mutter Baya – eine dominante Matrone – ist vollauf damit beschäftigt, seine bevorstehende Hochzeit mit der so schönen wie braven Khedija zu organisieren. Baya wird nicht müde zu betonen, welche materiellen Opfer sie dem Glück des Sohnes bringt. Der sitzt daneben und fügt sich stillschweigend in die arrangierte Ehe. Von seinem Chef wird Hedi kurz vor der Hochzeit in die Küstenstadt Mahdia geschickt. Autos verkaufen sich auch dort schlecht, dafür trifft der baldige Ehemann in einem halb verlassenen Touristenressort auf die lebenslustige Animateurin Rim. Sie ist das ganze Gegenteil von Khedija. Zum ersten Mal erwachen leidenschaftliche Gefühle in Hedi, und er beginnt sich zu fragen, was er denn eigentlich anfangen will mit seinem Leben.

Der Film braucht einige Zeit, bis er in die Gänge kommt. Versprüht Hauptdarsteller Majd Mastoura zunächst den Charme eines sauer eingelegten Herings, ist sein Erwachen umso bedingungsloser. Auf einmal will er alles: Liebe, Künstler sein, tanzen, reisen …

HEDIS HOCHZEIT wirkt in seiner nüchternen und präzisen Machart streckenweise wie ein Dokumentarfilm. Ein Blick ins Innenleben der tunesischen Gesellschaft. Der Einfluß der Dardenne-Brüder, die als Ko-Produzenten fungierten, ist hier unübersehbar.

Originaltitel: INHEBBEK HEDI

Tunesien/Belgien/F 2016, 88 min
FSK 6
Verleih: Arsenal

Genre: Drama

Darsteller: Majd Mastoura, Rym Ben Messaoudi

Regie: Mohamed Ben Attia

Kinostart: 22.09.16

[ Dörthe Gromes ]