Originaltitel: AYEH HAYE ZAMINI

Iran 2023, 77 min
FSK 6
Verleih: Neue Visionen

Genre: Drama, Episodenfilm

Darsteller: Majid Salehi, Sadaf Asgari, Gohar Kheirandisch

Regie: Ali Asgari, Alizera Khatami

Kinostart: 11.04.24

1 Bewertung

Irdische Verse

Vorm großen Beben

Einer will bloß den Führerschein abholen und steht bald halbnackt und gedemütigt vor dem Beamten. Ein Anderer will den Vornamen seines neugeborenen Kindes registrieren lassen und versinkt geradezu in einer grotesken ideologisch-religiösen Namensdiskussion. Eine Schülerin wird von der Direktorin einem strengen Verhör unterzogen. Es geht um Fragen der Moral – die Teenagerin hat sich von einem Jungen auf dem Moped in die Schule fahren lassen. Eine andere junge Frau muß sich ebenfalls vor einer Beamtin erklären: Das Foto einer Überwachungskamera zeigt angeblich, wie die Frau ohne Kopftuch im Auto sitzt. In der islamischen Republik Iran eine Straftat.

IRDISCHE VERSE zeigt den alltäglichen Alptraum der Theokratie in Episoden: Ein Name wird eingeblendet, dann fixiert eine statische Kamera eine Person. Meist die, zu der der Name gehört. Was folgt, ist ein Akt behördlicher Willkür, ein Beispiel des routinierten Despotismus, ein Exempel der Feinmechanik des Repressiven und der Stupidität selbstgerechten Machtgebarens.

Emotionen kochen in IRDISCHE VERSE dabei kein einziges Mal hoch. Alles, was geschieht, bleibt kontrolliert, starr, lauernd wie der Kamerablick und beengt wie das Vollbildformat. Und man kann es nur bewundern: Wie radikal konsequent dieser kleine, unscheinbare Film doch gedacht und inszeniert ist! In seiner strengen Schönheit, den genauen Dialogen, dem subtilen Spiel. In seiner Integrität, der Bitterkeit, dem feinen Humor. Und auch das: seinem Mut. Denn man spürt es in jeder Episode, das innere Zittern der Figuren vor der Kamera. Man spürt, wie es brodelt unter der Oberfläche. Und ja: Das große Beben – es wird kommen. Und das nicht nur in diesem Film.

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.