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Joy Division

... denn sie wußten nicht, was sie tun?

2007 war so etwas wie ein Joy-Division-Jahr, gleich zwei Filme entstanden, sich dem kurzen Werdegang der Kultband zu widmen. Mit einiger Verspätung kommt nun diese Doku in die Kinos und erweist sich als gelungene Ergänzung zu Anton Corbijns Biopic CONTROL.

Wo nämlich Corbijn primär den Leadsänger Ian Curtis betrachtete, steht hier Joy Division als Gesamtheit im Mittelpunkt, von den Anfängen bis hin zum bekannten, tragischen Zerfall. Möglich machen dies Interviews mit den ehemaligen Bandmitgliedern, ausgenommen natürlich Curtis, welche in Erinnerungen schwelgen, Anekdoten erzählen und dabei im Original häufig das böse F-Wort benutzen. Da wird so ziemlich alles thematisiert – die Gründung als Quasi-Flucht aus der „Dirty Old Town“ Manchester, Proben, Erfolge, ganz klar die von Curtis ausgehende Faszination: „On Stage He Was A Different Person.“

Die chronologische Aufarbeitung läßt aber auch streng chronologisch geordnet Journalisten, Manager und andere Wegbegleiter zu Wort kommen, während Curtis’ Ehefrau Deborah zwar scheinbar nicht zur Verfügung stand, dafür jedoch per Erinnerungen auf Texttafeln omnipräsent ist. Vermeintlich also eine formal recht dröge Angelegenheit, und tatsächlich hätte das Ganze leicht seiner äußeren Statik erliegen können. Diese Stolperfalle umgeht allerdings die geschickte Montage, welche immer wieder Fotos und Archivmaterial einstreut oder einfach bloß Videoclip-Ästhetik benutzt, um erfolgreich für Lebendigkeit zu sorgen.

Und selbstredend darf man zwischendurch auch Klassikern wie „Transmission“ lauschen, bei „Love Will Tear Us Apart“ dann echter Gänsehaut erliegen. Was den Rahmen übrigens durchaus öffnet, denn nicht nur Fans sind eingeladen, ihre musikalischen Helden neu zu entdecken. Und allerlei Augenblicke der absoluten Wahrheit zu erleben, etwa dann, wenn Ex-Bassist Peter Hook sinniert: „I Wasn’t Interested In Depth Or Anything.“ Dazu passend fragt sich Curtis-Geliebte Annik Honoré, eine nachdenkliche, offensichtlich verletzte Frau, ob die Band jemals selbst um die Kraft ihrer Musik wußte.

Solche subtilen Denkanstöße heben sich aus dem unbestreitbaren Unterhaltungswert hervor, sie lassen jede Beweihräucherung weit hinter sich und sind dennoch respektvoll genug in das Gesamtbild eingebettet, um nicht zur Effekthascherei zu verkommen. Woraus insgesamt ein vorbildliches Porträt entsteht.

Originaltitel: JOY DIVISION

GB/USA 2007, 96 min
Verleih: MFA

Genre: Dokumentation, Musik

Darsteller: Richard Boon, Anton Corbijn, Kevin Cummins, Ian Curtis

Regie: Grant Gee

Kinostart: 05.03.09

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...