Originaltitel: CHILD 44

USA/Tschechien/GB/Rumänien 2015, 138 min
FSK 16
Verleih: Concorde

Genre: Literaturverfilmung, Thriller, Drama

Darsteller: Tom Hardy, Noomi Rapace, Gary Oldman, Vincent Cassel

Regie: Daniel Espinosa

Kinostart: 04.06.15

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Kind 44

Reise ins Herz der Finsternis

Als „Bestie von Rostow“ ging Andrei Romanowitsch Tschikatilo in die Kriminalgeschichte ein. Über 50 Morde, vorwiegend an Frauen und Kindern, begangen zwischen 1978 und 1990, gehen auf sein Konto. Daß dieser Blutzoll so schockierend hoch ausfiel, hatte dabei auch entscheidend mit der Art und Weise zu tun, mit der die sowjetischen Behörden ermittelten. Was das genau heißt, zeigte 1995 Chris Gerolmos CITIZEN X. Ein Thriller, bedrückend, spannend, erstklassig besetzt und insgesamt jene Atmosphäre erzeugend, die angemessen ist für eine Reise ins Herz der Finsternis.

Genau dahin führt auch KIND 44: Im Moskau des Jahres 1953 arbeitet Leo Demidow als Offizier für Berias berühmt-berüchtigten Inlandsgeheimdienst. Und das kompromißlos und effizient, als ganz und gar linientreuer Genosse. Doch plötzlich geraten Ereignisse außer Kontrolle: Unter Folter nennt der Oppositionelle Brodsky sieben Namen von angeblichen Mitverschwörern. Dazu zählt auch Demidows Frau Raisa. Zur gleichen Zeit wird die Leiche eines ermordeten Jungen gefunden. Die Ermittlungen verlaufen schleppend und geheim, offiziell starb das Kind natürlich bei einem Unfall. Die Folgen sind fatal, auch für Demidow.

Es hat einiges für sich, was KIND 44 wagt: nämlich, den Tschikatilo-Fall im Setting der stalinistischen Sowjet-Ära zu reflektieren. Als eine grausige Zerrspiegelung, die zugleich sehr konkret etwas erzählt darüber, wie sich das Bestialische im Menschen Bahn bricht, und wie dieses Bestialische wüten kann in einem System, in dem wiederum der Mensch nichts zählt. Und in der Romanvorlage des britischen Krimiautors Tom Rob Smith funktioniert das auch bestens. In der Verfilmung durch Daniel Espinosa leider nicht ganz. Der Action-Routinier ist schlicht der falsche Mann. Fürs Changieren zwischen parallelen Handlungssträngen wie fürs Ausloten menschlicher Abgründe. Wobei die Möglichkeiten dafür auch schon von einem Drehbuch begrenzt wurden, das die komplexe, epische Vorlage nicht unbedingt geschickt komprimierte. Zu viel Substanzverlust, zu viel Hingehuschtes.

Was ein Grund gewesen sein mochte, daß Ridley Scott, der ursprünglich als Regisseur vorgesehen war, von der Verfilmung Abstand nahm. Wie auch immer und um den Kreis zu schließen: Wer die Kinoreise ins Herz der Finsternis sowjetischer Ausprägung wagen möchte, trifft mit KIND 44 nicht vollends die falsche, aber mit CITIZEN X zweifelsfrei die bessere Wahl.

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.