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KußKuß

Intelligente Studie zu Sein und Schein

Sören Senn setzt eine verspielte, aber keineswegs heitere Szene an den Anfang. Es ist Herbst und ein Pärchen liegt auf einer Wiese im Park. Katja möchte, daß Hendrik ihr schildert, welche Farben er durch die bunten Blätter sieht, und sie ist ungläubig ob seiner Erwiderung. Seine Schilderung entspricht nicht ihren Erwartungen. Die eigentliche Geschichte beginnt kurz darauf in dem Krankenhaus, in dem Katja arbeitet. Zufällig begegnet sie hier Saida, einer Algerierin, die kurz vor dem Ablauf ihrer Duldung in Deutschland steht. Katja will der jungen Frau helfen und nimmt sie mit nach Hause. Hendrik reagiert zunächst verblüfft und verärgert auf die Spontaneität seiner Freundin und auf den Gast. Während Katja alle Hebel in Bewegung setzt, um der jungen Frau einen falschen Paß zu besorgen, kommen sich Hendrik und Saida näher. Als der erste Plan scheitert, und Katja schließlich auf die Idee einer Scheinheirat kommt, ahnt sie nicht, daß zwischen den beiden mehr als Freundschaft ist ...

Wer glaubt, er könne schon dem Titel entnehmen, daß es sich bei dem Film um einen oberflächlich moralisierenden Beitrag zur Diskussion um die multikulturelle Gesellschaft handelt, der wird überrascht sein. Nicht der Flüchtlingsalltag in Deutschland steht hier im Mittelpunkt, sondern das Innenleben einer scheinbar intakten Partnerschaft und die komplizierte Beziehung der drei Hauptfiguren. Sören Senn übt sich in diesem bemerkenswerten Debüt in angenehmer visueller Zurückhaltung, setzt dieses fast intime Porträt weithin als Kammerspiel in Szene und balanciert geschickt zwischen tragikomischen Momenten und Melancholie. Das Drehbuch von Katrin Milhan glänzt mit geschliffenen intelligenten Dialogen und mit einer sehr genauen Charakterzeichnung. Diese versperrt sich einer eindeutigen Sympathiezuweisung, keine der Figuren ermöglicht eine Identifikation über die ganze Länge des Filmes. Nicht allein der Fortlauf der Geschehnisse bindet somit das Interesse des Publikums, es ist vielmehr die beständig gestellte Frage danach, wo man sich selbst positioniert. Daß diese nicht eindeutig zu beantworten ist, liegt auch an der Vielzahl der intendierten Themen.

Nur in einer Lesart ist KUSSKUSS, was sich im Intro andeutet: ein Film über die Schwierigkeit zweier Menschen, eine Beziehung zu führen und dabei glücklich zu sein. Darüber hinaus regt er an zu Reflexionen über Vorurteile, Klischees, tradierte Bilder und nicht zuletzt über das Selbstverständnis als Mensch.

D/Schweiz 2005, 95 min
Verleih: Novapool

Genre: Drama, Liebe

Darsteller: Carina N. Wiese, Axel Schrick, Saida Jawad

Regie: Sören Senn

Kinostart: 24.08.06

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.